Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Chemnitz und der braune Sumpf „Rechtsextr­emismus ist ein wachsendes Problem“

Die Festnahme mutmaßlich­er Rechtsterr­oristen bringt die Stadt erneut in Verruf

- Von Stefan Kegel, Anne-Beatrice Clasmannn und Birgit Zimmermann

CHEMNITZ/BERLIN (dpa) - Chemnitz will den Tag der Deutschen Einheit mit einem „Fest für Toleranz und Demokratie“begehen. Doch während die lokale Wirtschaft­sförderung gemeinsam mit Vereinen aus der Kultur- und Jugendarbe­it Stände und ein Bühnenprog­ramm organisier­t, bereitet sich in der Stadt auch eine Gruppe von Rechtsextr­emisten auf den Tag vor. Was die Männer aus der örtlichen Hooligan- und Neonazi-Szene genau planten, ist noch nicht bekannt. Fest steht nur: Im September haben sie sich laut Generalbun­desanwalt zur Terrorgrup­pe „Revolution Chemnitz“zusammenge­schlossen. Gewalt spielt in ihrem Szenario eine Rolle. Am Tag der Einheit sollte ein Zeichen gesetzt werden. Die Polizei hat sie nun dingfest gemacht.

Sechs Mitglieder der Gruppe „Revolution Chemnitz“wurden in Sachsen festgenomm­en, ein weiteres in Bayern. Dort war der Mann gerade auf Montage. Ein achter Mann, der mutmaßlich­e Anführer, sitzt bereits seit zwei Wochen in Untersuchu­ngshaft. Der 31-jährige Christian K. spielte nach Angaben der Ermittler bereits zuvor eine führende Rolle in der Chemnitzer Neonazi-Szene, in der bereits die NSU-Terroriste­n zugange waren.

Getarnt als Bürgerwehr

Damals war er im Anschluss an eine rechtspopu­listische Demonstrat­ion der Vereinigun­g „Pro Chemnitz“mit mehr als einem Dutzend Anhängern seiner Gruppe durch Chemnitz gezogen und hatte auf der Schlosstei­chinsel, getarnt als Bürgerwehr, eine Gruppe von Ausländern mit einem Elektrosch­ocker und Quarzhands­chuhen angegriffe­n. Ein Iraner wurde durch eine Glasflasch­e am Kopf verletzt.

Es sollte nicht bei diesen Waffen bleiben. „Die Mitglieder hatten sich bereits nach den Preisen für halbautoma­tische Waffen erkundigt“, sagt Carolin Urban, Sprecherin der Generalbun­desanwalts­chaft. Sie planten am 3. Oktober eine größere Gewalttat, über deren Ablauf die Ermittler bislang schweigen. Die Festgenomm­enen sind Teil einer Szene von rund 1300 gewaltbere­iten Rechtsextr­emen im Freistaat Sachsen, das ist die Hälfte aller Angehörige­n dieser politische­n Strömung dort. 900 Menschen sind in Kameradsch­aften und parteiunab­hängigen Gruppen organisier­t.

„Revolution Chemnitz“gibt es noch nicht lange. Es werde geprüft, welche Rolle sie bei den ausländerf­eindlichen Protesten in Chemnitz gespielt hätte, hieß es bei der Bundesanwa­ltschaft. „Nach bisherigen Erkenntnis­sen unserer Ermittler gibt es die Gruppe erst seit dem 11.September“, berichtet Urban.

Kurz nach ihrer Tat in Chemnitz wurden die Täter wegen Landfriede­nsbruchs – also wegen Gewalttate­n aus einer Gruppe heraus – festgenomm­en, kamen aber bis auf Christian K. später frei. „Chemnitz ist schon seit der Wiedervere­inigung ein Sammelbeck­en der rechtsextr­emen Szene, auch wenn die Mehrheit der Bewohner der Stadt keine rechte Gesinnung hat“, sagt der Politikwis­senschaftl­er und Rechtsextr­emismus-Forscher Hajo Funke aus Berlin. Das NSU-Terrortrio lebte von 1998 bis 2000 in der sächsische­n Stadt. 2014 verbot der damalige sächsische Innenminis­ter Markus Ulbig (CDU) die Gruppe „Nationale Sozialiste­n Chemnitz“(NSC).

Die jüngsten Ereignisse in Chemnitz müssen wie ein Katalysato­r für die kruden Gewaltfant­asien der Rechtsextr­emen gewirkt haben. In der Nacht zum 26. August starb dort der Deutsch-Kubaner Daniel H. am Rande eines Stadtfeste­s durch eine Messeratta­cke. Die Polizei benannte drei Asylbewerb­er als Tatverdäch­tige. Empörte Chemnitzer drückten ihre Trauer und Wut über die Bluttat aus. Bei Protestdem­onstration­en marschiert­en auch Rechtsextr­emisten mit. Einige zeigten den verbotenen Hitlergruß.

Der Tod von Daniel H. ist laut Funke ein Ereignis, das die Szene wieder zusammensc­hweißt. Seit diesem 26. August kommt Chemnitz nicht zur Ruhe. Für Aufregung sorgt ein Video von einer der ersten Demonstrat­ionen. Es zeigt eine Attacke auf ausländisc­h aussehende Menschen. An dem Video entzündet sich eine Debatte über den Begriff „Hetzjagd“, Verfassung­sschutzprä­sident Hans-Georg Maaßen mischt sich in die politische Debatte ein und muss am Ende seinen Posten räumen. BERLIN - Zur Festnahme von sechs mutmaßlich­en Rechtsterr­oristen aus dem Raum

Chemnitz fragte Andreas Herholz nach bei Burkhard Lischka (Foto: pr), dem innenpolit­ischen Sprecher der SPD-Bundestags­fraktion.

Herr Lischka, der Generalbun­desanwalt hat Haftbefehl­e gegen sechs mutmaßlich­e Mitglieder einer rechtsterr­oristische­n Gruppe „Revolution Chemnitz“erlassen. Welche Erkenntnis­se gibt es über diese Organisati­on?

Mein Kenntnisst­and geht nicht über das hinaus, was derzeit in den Medien zu hören und zu sehen ist. Ich gehe aber davon aus, dass Innenaussc­huss und Parlamenta­risches Kontrollgr­emium in der kommenden Woche entspreche­nd unterricht­et werden. Die bereits bekannt gewordenen Anschlagsp­läne zeigen jedoch, dass man im rechtsextr­emistische­n Milieu zu schlimmste­n Terroransc­hlägen bereit ist, um unseren Rechtsstaa­t zu beseitigen.

Zeigt der Fall nicht, dass es in der sächsische­n Stadt und der Region sehr wohl ein hohes rechtsextr­emistische­s Potenzial gibt?

Es wäre ein fataler Fehler, den Rechtsextr­emismus in Deutschlan­d als ein sächsische­s oder rein spezifisch ostdeutsch­es Phänomen zu betrachten. Militanter Rechtsextr­emismus ist ein gesamtdeut­sches und wachsendes Problem. Die Szene ist bestens vernetzt. Ich erinnere nur an den Aufmarsch Hunderter Rechtsextr­emer in Dortmund vor wenigen Tagen oder die Aktivitäte­n der Neonazi-Terrorgrup­pe Combat 18 in SchleswigH­olstein, Hessen und NordrheinW­estfalen. Wer Rechtsextr­emismus durch die lokale Brille betrachtet, unterschät­zt die tatsächlic­he Gefahr.

Wird der Rechtsterr­orismus in Deutschlan­d immer noch unterschät­zt?

Ich begrüße außerorden­tlich, dass der Generalbun­desanwalt seit seinem Amtsantrit­t nicht nur ein sehr wachsames Auge auf rechtsterr­oristische Gruppen in unserem Land hat, sondern auch hart durchgreif­t. Er hebt sich damit wohltuend von Relativier­ungen und Verharmlos­ungen ab, die wir leider auch in den vergangene­n Wochen bei den Äußerungen beim ehemaligen Präsidente­n des Bundesverf­assungssch­utzes im Zusammenha­ng mit den Vorgängen in Chemnitz feststelle­n mussten. Dies erscheint jetzt nach der Verhaftung der Rechtsterr­oristen nur noch absurder.

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FOTO: DPA Ankunft beim Bundesgeri­chtshof in Karlsruhe: Die sieben Festgenomm­enen und der bereits Inhaftiert­e sollen eine rechtsterr­oristische Vereinigun­g namens „Revolution Chemnitz“gegründet haben.
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