Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Ein Mentaltrainer der besonderen Art
Wie der im Rollstuhl sitzende Ömer Kamis den Fußballern des VfB Friedrichshafen hilft
RAVENSBURG - Vielleicht liegt der Grund, dass Ömer Kamis eine Frohnatur ist, darin, dass sein Vater Resat und seine Mutter Sevil ihn so angenommen haben, wie er ist. Der 40Jährige sitzt seit Geburt im Rollstuhl. Ömer kam zu früh zur Welt und bekam bei der Geburt zu wenig Sauerstoff ab. Die spastische Lähmung an beiden Beinen und am linken Arm gehören genau so zu ihm wie seine gute Laune. Kamis ist großer Fußballfan. Dem Landesligisten VfB Friedrichshafen hilft er sogar als eine Art Mentaltrainer. „Normalerweise stellt man sich darunter eine Person vor, die durchtrainiert ist, den Spielern in Sachen Ernährung Ratschläge gibt und auch noch ein Studium in der Tasche hat. Ömer ist weder durchtrainiert, noch hat er studiert. Er liebt aber den Fußball und beschäftigt sich mit ihm seit langem“, sagt VfB-Spielertrainer Daniel Di Leo.
Sein Motto: „Wer bremst verliert“
Als er vor ein paar Wochen Ömer Kamis das erste Mal nach Friedrichshafen einlud, zur Mannschaft zu reden, da waren die Spieler zunächst verblüfft. Später sehr berührt. „Manche hatten Tränen in den Augen. Es hat sie umgehauen und alle haben applaudiert“, so Di Leo. Ömer Kamis saß vor der VfB-Mannschaft und vermittelte einfache Wahrheiten. Das Gespräch dauerte etwa 20 Minuten. Es waren für alle Fußballer aber 20 intensive Minuten. „Im Fußball geht es um Sieg und Niederlage und beide Dinge müssen die Spieler immer richtig einordnen“, erklärt er. „Ich sage den Spielern, sie sollen ihren Sport lieben und leben und auf dem Feld immer alles geben, nie nachlassen“, so Ömer Kamis.
Der 40-Jährige hat die 1:3-Niederlage des VfB in Biberach miterlebt, aber auch den 1:0-Sieg in Ostrach. „Eine Niederlage ist ein Prozent Wasser (Tränen), aber 99 Prozent Gefühl“, betont er. Und jeder Fußballer sollte sich mit dem Gefühl der Niederlage auseinandersetzen, um für sich die richtigen Schlüsse zu ziehen. Dann komme man weiter. Es sei ganz einfach und trotzdem so schwer. Viele Fußballer verdrängen alles und das wäre das Falsche. Auch beim heutigen Oberligisten FV Ravensburg durfte Kamis schon in der Kabine Worte an die Spieler richten. „Michael Wohlfarth, der Vater des heutigen Trainers Steffen, hat mich in der Saison 2005/2006 darum gebeten. Das war spannend“, meint der 40-Jährige. Erfahrung hat also der große Fußballfan, der Dauerkartenbesitzer beim VfB Stuttgart ist.
Ömer Kamis ist in Wangen geboren und lebte bei seinen Eltern bis er 24 Jahre alt war. Danach lebte er unter anderem bei den Zieglerischen Anstalten. Heute hat er gemeinsam mit seiner Lebenspartnerin Lydia eine Wohnung in Aulendorf. Er bezieht eine Erwerbsunfähigkeitsrente und hat drei Angestellte, die ihm helfen. „Wir teilen die Arbeit in drei Schichten ein“, sagt Kamis. Darüber hinaus helfen ihm ehrenamtliche Mitarbeiter. „Ich bin immer auf der Suche nach Menschen, die mir zur Hand gehen. Ihre Hilfe wird von mir vergütet“, sagt Kamis. Am Abend und in der Nacht sind Lydia und Ömer alleine, helfen sich gegenseitig. Kamis ist nicht an ein Heim gebunden, organisiert alles selbst. Auch diesse Dinge erzählt er den Kickern in seinen Ansprachen.
Als Anerkennung für seine Dienste nimmt Daniel Di Leo Kamis immer wieder auch mit zu anderen Bundesligaspielen mit. Dabei lernte Kamis etwa den Freiburger Trainer Christian Streich oder den damaligen Bayerncoach Jupp Heynckes kennen. Für die Bundesligatrainer war es ein einfacher Händedruck für Ömer Kamis etwas Besonderes.
Am Mittwoch steht für den VfB Friedrichshafen das WFV-Pokalspiel gegen Calcio Echterdingen auf dem Programm. Um 14 Uhr ist das Spiel, drei Stunden vorher spricht Ömer Kamis zu den VfB-Fußballern. Diesmal auch zur A-Jugend und zur zweiten Mannschaft. Dabei wird Kmais sicher wieder einen seiner Leitsprüche fallen lassen. Der lautet: „Wer bremst verliert.“Der Mentaltrainer der besonderen Art will den Spielern vermitteln, dass man im Leben nie aufgeben sollte. Egal ob ein Mensch im Rollstuhl sitzt oder zwei gesunde Beine hat.