Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Die „Farben der Nacht“sind düster
Der erste Roman von Davit Gabunia ist ein voyeuristischer Thriller
So viel vorneweg: Am Ende wird keiner der Figuren in „Farben der Nacht“von Davit Gabunia glücklich sein. Nicht der arbeitslose Surab, nicht seine untreue Ehefrau und auch nicht der neue Mieter, der gegenüber eingezogen ist und mit dem die Handlung erst ins Rollen kommt. Denn Surab vertreibt sich die Langeweile damit, nachts den neuen Nachbarn in seiner Wohnung zu beobachten. Was er sieht, versucht er zu seinem Vorteil zu nutzen und aus seinem Alltag auszubrechen.
Schnell merkt Surab, dass sein neuer Nachbar regelmäßig nächtlichen Besuch von einem hohen Beamten bekommt, und dass die beiden eine geheime Affäre haben. Nächtelang lauert er den beiden hinter seinem Fenster auf. Er beginnt zu fotografieren und zu filmen. Stellt sich vor, was die Männer sagen und steigert sich so sehr in seinen Voyeurismus hinein, dass er sogar bereut, keine Abhöranlage installiert zu haben. Aber so viel er auch in der Nachbarwohnung sieht, so wenig erkennt er, was in seinem eigentlichen Umfeld geschieht.
Zur Zeit des Regierungswechsels
Die Geschichte spielt in politisch unruhigen Zeiten. Georgien steht vor einem radikalen Regierungswechsel, 2012 gehen die Menschen auf die Straße. Auch weil schreckliche Bilder von Misshandlungen in georgischen Gefängnissen auftauchen. Die Unruhe und der Umbruch spiegelt sich auch in den Charakteren wieder, die Davit Gabunia vor dieser gesellschaftlichen Kulisse in enge, stickige Wohnungen in einem tristen Wohnblock setzt. Aber Surab sieht nur zu. Vor dem Fernseher, hinter dem Fenster. Sowohl den Demonstranten als auch dem Treiben in der Nachbarwohnung. Mit seiner Passivität handelt er letztendlich dennoch.
Dass der 36-jährige Autor Gabunia bisher hauptsächlich als Theaterautor in Erscheinung getreten ist, merkt man seinem Erstlingswerk an. Zum einen an der überschaubaren Zahl der Charaktere, zum anderen aber hauptsächlich an den wenigen Handlungsorten, die aus dem Roman besonders zu Beginn ein beklemmendes Kammerspiel machen. Mit dem Effekt, dass der Leser die Hitze und Enge der Wohnung fast am eignen Leib zu spüren bekommt, und sich nach langen Beschreibungen des zähen Alltags danach sehnt, dass in der Wohnung gegenüber etwas Spannendes passiert. So wie der Protagonist auch.
Gabunia erzählt seine Geschichte über zwei Drittel aus der Innensicht von Surab und beginnt später auch aus der Sicht der anderen Figuren zu schreiben. Vielleicht sogar etwas zu spät, da sich der Roman durch den häufigen Perspektivenwechsel gegen Ende hin deutlich spannender liest. Trotz mancher Längen schafft Gabunia mit „Farben der Nacht“einen spannenden und feinsinnigen Thriller mit tiefen Einblicken in die Psyche und Abgründe der Charaktere, der manche Kritiker nicht zu unrecht an Hitchcocks „Das Fenster zum Hof“erinnert.
Davit Gabunia: Farben der Nacht, Rowohlt, Reinbek/Berlin, 192 Seiten, 20 Euro.