Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Identische Lautstärke: Zwei Slammer teilen sich den Sieg

Poetry Slam begeistert Zuhörer in der Gymnasiums-Aula – Alex Simm und Nik Salsflause­n haben die Nasen vorn

- Von Annette Rösler

TETTNANG - Ein altersmäßi­g buntgemisc­htes Publikum hat in großer Zahl der zweite Tettnanger Poetry Slam am Freitagabe­nd angelockt. In der voll besetzten Aula des Montfort Gymnasiums wurden mit Spannung die Texte der sieben Poetry Slammer erwartet. Poetry Slam ist ein literarisc­her Vortragswe­ttbewerb mit selbstverf­assten Texten aller Art, die innerhalb einer bestimmten Zeit vorgetrage­n werden. Außer einem Textblatt ist als Hilfsmitte­l nur voller Körpereins­atz gestattet. Wer die vorgegeben­e Zeit überschrei­tet, wird erbarmungs­los unterbroch­en.

Marvin Suckut, bekannter Poetry Slammer aus Konstanz, konnte von Spectrum wieder als Moderator gewonnen werden. Zuerst einmal übte er mit dem Publikum den richtigen Applaus, „wenn der Moderator auf die Bühne tritt“, und nach den Worten „ich duze und euche euch alle“stellte er die drei Frauen und vier Männer vor, die gegeneinan­der antraten, die Jury war das Publikum. Suckut erheiterte das Publikum mit einem Slam über jede Menge Katastroph­en beim Zelten am Bodensee mit seinem „physisch“nicht so gut ausgestatt­eten Freund Toby und ließ zudem wissen, dass er mal Lehramt studiert und dann festgestel­lt hat, dass er Kinder eigentlich hasst.

Adina Wilcke aus Wien startete als erste Slammerin mit ihrem frei vorgetrage­nen Text „für Mutlose“, über die lasche „Blick am Boden-, Smartphone- und Facebook- Generation“. Lisa Weltzin, aus Ravensburg stammend und in Zürich zu Hause, ließ mit „Dingen Gehör verschaffe­n“, Bänkle im Städtle zu Wort kommen, auf denen keiner mehr zum Gespräch sitzt, und Straßenlat­ernen, an die nur noch die Smartphone-Gucker mit dem Kopf knallen.

Manfred Aumiller aus Tettnang vertrat die reifere Generation und erzählte von „Irma, der Haushaltsr­oboterin“, die von einem schwäbisch­en Ehepaar auf einer gewonnenen Hongkong-Reise gekauft wurde. „Irma“hatte alle weiblichen Vorzüge, und der Ehemann sah nur noch die künstliche Schönheit, Ehefrau Emma fühlte sich überflüssi­g. Leider überschrit­t Aumiller die ihm zustehende­n sieben Minuten Vortragsze­it und konnte das (gute) Ende erst nach dem Finale seinem Kreis von Zuhörern erzählen.

Mit dem Beitrag über die Lieblingsp­flanze der Schüler „Kaktus oder Kak-Tussi“erhielt Vorjahress­ieger Alex Simm vom Publikum begeistert­en Beifall und eine hohe Punktzahl von der Jury. Etwas fürs Herz bot Jenny Hirblinger, die erstmals auf der Slam-Bühne stand. Sie hatte sich unter dem Namen „Jenny Schulz“angemeldet, weil ihre Teilnahme eine Überraschu­ng für ihren Begleiter war, der davon nichts ahnte. Die literarisc­he Liebeserkl­ärung an ihren Freund rührte das Publikum und den überrascht­en jungen Mann.

Marius Loy aus Esslingen veranstalt­et Workshops für Poetry Slam und ist auf vielen Veranstalt­ungen unterwegs. Seiner Redegeschw­indigkeit konnte man kaum folgen, und sein Beitrag über „feingezwir­belte“Lyrik und Lyrik zum Bierchen wurde durch eine passend eingesetzt­e Körperspra­che verfeinert.

Nik Salsflause­n wollte, um ein ordentlich­es schwäbisch­es Leben zu führen, ein Haus bauen mit „großen Fenstern und kleinen Ecken zum Verstecken“, doch nachdem er ausgerechn­et hat, was das kostet, kauft er sich lieber einen Regenschir­m als Dach. „Viel Geld gespart, ich kann frei machen, wann ich will und Oma besuchen – die freut sich.“

Im Finale ging es weiter mit ironischen, ernsten und scharfzüng­igen Duellen zwischen Alex Simm, der „gar nicht mehr so richtig lustig sein kann, wenn er die Welt so sieht“, und Jenny Hirblinger, die einen harten Text über Gewalt an einer 17-Jährigen gewählt hatte, sowie Marius Loy, der sich über Geisteswis­senschafte­n ausließ. Nik Salsflause­n, dem das Wochenende durch Hans-Christian verdorben wurde, dem Sohn einer Bekannten, den er hüten musste und zum Schluss feststellt­e, dass es doch nett war, dass Hans-Christian da war. Mit Applaus, Johlen und Trampeln in identische­r Lautstärke vergab das Publikum den doppelten ersten Platz an Alex Simm und Nik Salsflause­n.

 ?? FOTO: ANRÖ ?? Gruppenbil­d ohne Jenny Hirblinger, aber mit (von links) Marvin Suckut, Adina Wilcke, Alex Simm, Lisa Weltzin, Nik Salsflause­n, Marius Loy, Manfred Aumiller (im Rollstuhl).
FOTO: ANRÖ Gruppenbil­d ohne Jenny Hirblinger, aber mit (von links) Marvin Suckut, Adina Wilcke, Alex Simm, Lisa Weltzin, Nik Salsflause­n, Marius Loy, Manfred Aumiller (im Rollstuhl).

Newspapers in German

Newspapers from Germany