Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Den Trend verschlafen – oder: Kontinuität auf Schwäbisch
Es gibt keinerlei Anzeichen dafür, dass Christian Gentner es sich zur Aufgabe gemacht hat, der Bundesligaspieler mit den meisten Trainern zu werden. Der Kapitän des VfB Stuttgart ist ein loyaler Musterprofi, kein Königsmörder – und doch erlebt er nun bereits schon den 13. Trainerwechsel seit seiner Rückkehr zum VfB im Jahr 2010 – und bald schon den 14., schließlich ist Andreas Hinkel nach der Beurlaubung von
Tayfun Korkut nur als Interimslösung vorgesehen. Was heißt Kontinuität auf Schwäbisch?
Der VfB hat nach dem 1:3 in Hannover ● nur typische VfB-Dinge getan – die angesichts der Tabellensituation und des vor allem in der ersten Halbzeit spielerischen und taktischen Offenbarungseids auch argumentativ begründet werden können. Und doch wirft Korkuts Beurlaubung Fragen auf. Etwa die, wer beim VfB eigentlich die Trainer rauswirft: Der als Kaderplaner allgemein anerkannte Sportvorstand Michael Reschke, der nun schon zum zweiten Mal nicht die glücklichste Figur abgibt beim Trainerwechsel – oder Präsident
Wolfgang Dietrich, der gerne von „Kontinuität“, „Glaubwürdigkeit“und „Vertrauen“redet, aber nach dem 1:3 sofort eine Vorstandskrisensitzung einberief ? Oder die Frage, wieso man Korkut im Juni ohne Not mit einem neuen Vertrag bis 2020 ausstatten musste?
Man kann gute Gründe für die Ablösung ● Korkuts finden: Obwohl der Coach seinen Kader schon sehr früh zusammen hatte, außerdem Weltmeister Benjamin Pavard gehalten wurde und Boss Reschke zu Recht dafür gelobt wurde, viele schnelle Spieler eingekauft zu haben, waren in dieser Spielzeit nur selten ein ebenso geplanter wie rasanter Spielaufbau und nie ein Offensivkonzept erkennbar. Dass man Ähnliches auch über den FC Bayern München unter Niko Kovac und Schalke unter Domenico
Tedesco sagen kann, ist überhaupt kein Zufall.
Korkut und Tedesco setz(t)en auch in dieser Saison vor allem auf Sicherheit und kompaktes Verteidigen, auf Erfolg durch Toreverhinderung. Ersteren kostete dies nun den Job. Und bei Schalke zeigte sich in den ersten 30 Minuten des letztlich souveränen 2:0 gegen Düsseldorf, dass gar nicht zu verteidigen, sicher auch nicht die richtige Reaktion ist. Schalke agierte zu Beginn vogelwild. „Wir haben in der ersten Hälfte Kräfte gespart, damit wir nach der Pause durchstarten konnten“, sagte Stürmer Guido Burgstaller, der mit seinem ersten Saisontreffer in der 53. Minute das 2:0 gemacht hatte, ironisch. Kovac brachte den Bayern zwar bei, hin und wieder so zu kontern wie es seine alte Mannschaft, Eintracht Frankfurt, perfekt konnte, schaffte es aber (noch?) nicht, den Münchnern auch die Frankfurter Tempohärte einzupflanzen.
Die Erfolgstrainer der vergangenen ● Saison könnten den neuen Trend verschlafen haben. Die Bundesliga setzt – endlich – nicht mehr nur auf Kompaktheit und Destruktivität. Sondern auf Tempo und Offensivpower. Taktische Ideen schlagen Behäbigkeit, Tempo individuelle Klasse, Spektakel ist die neue Sicherheit. Da attackieren etwa Manuel Baums Augsburger die Spieler des damaligen Tabellenführers FC Bayern München so weit vorne, dass diese sich von diesem Schock bis heute nicht erholt haben – und dann treten die Augsburger auch beim neuen Tabellenführer Dortmund so mutig auf, dass die Zuschauer beim 4:3 eines der außergewöhnlichsten und denkwürdigsten Spiele der letzten Jahre erleben durften. Der sonst immer so kontrollierte BVB-Coach Lucien Favre war hinterher sicher nicht nur so euphorisch, weil seine Mannschaft in letzter Sekunde gewonnen hatte. Auch Pal Dardai scheint bei Hertha BSC vergessen zu haben, dass er eigentlich ein Sicherheitsfanatiker war, Werder Bremen macht unter Florian Kohfeldt wieder so Spaß wie einst unter
Thomas Schaaf. Selbst der passionierte Betonrührer Friedhelm Funkel lässt seine Aufsteiger von Fortuna mutig spielen, und Michael Köllners Nürnberger kassieren lieber ein 0:7 gegen den BVB oder ein 0:6 gegen Leipzig, als sich zu verstecken.