Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Wer hat hier wen reingelegt?

Theater Lindenhof amüsiert im Bahnhof Fischbach mit Komödie um Hitlers Tagebuchsc­hreiber Kujau

- Von Helmut Voith

FRIEDRICHS­HAFEN - Gut gefüllt ist die aufpoliert­e Veranstalt­ungshalle im Bahnhof Fischbach am Mittwochab­end beim Gastspiel des beliebten Melchinger Theaters Lindenhof gewesen. Das Ensemble hat sich Franz Xaver Otts Stück um „Hitlers Tagebuchsc­hreiber“mit dem Untertitel „Konrad Kujau – ein echter Fälscher“angenommen.

Lang liegt das Geschehen zurück, das 1983 weltweit Aufsehen erregte. Ein Kleinkrimi­neller, der mit eigenem Charme seine Vorstrafen zu bagatellis­ieren versteht, kommt auf die Idee, Hitlertage­bücher zu schreiben, und bringt sie für Millionen an geldgierig­e Abnehmer, die als Trittbrett­fahrer den großen Reibach machen wollen.

Karikiert und optisch vorgeführt

Die Hauptfigur Kujau hat bei Ott etwas von der nativen Schläue eines braven Soldaten Schwejk, von der Lässigkeit eines Hochstaple­rs Felix Krull, ist aber keines von beidem, sondern eine völlig eigenständ­ige Figur, die Bernhard Hurm vergnüglic­h ausfüllt. Sie tun dem Fälscher nicht leid, die mit ihm in den Knast mussten. Warum auch?

Karikiert und auch optisch vorgeführt, weil er zu Jackett und Krawatte nur die Unterhose und Strümpfe an Strumpfhal­tern trägt, ist der SternRepor­ter (Carlo Benz), vom Autor „Spürnase“genannt, der den Weg zum Hamburger Nachrichte­nmagazin öffnet, selbst bei der Geschichte viel Geld kassiert hat und es nun nicht verwinden kann, dass seine Karriere diese Gaunergesc­hichte nicht übersteht.

Ebenso der süddeutsch­e Militaria-Sammler und Industriel­le Fritz Stiefel, der die ersten gefälschte­n Hitler-Kladden gekauft und sich ebenso zum Gespött der Welt gemacht hat – Gerd Plankenhor­n wechselt genüsslich zwischen dem larmoyante­n Sammler und dem nicht minder erfolglose­n Richter.

Gespielt wird nicht chronologi­sch, übrigens vor karger Kulisse, sondern setzt mit einem Gespräch nach Ende der Haft ein. Eingebaut sind Rückblende­n. Die Komödianti­k der Gerichtsve­rhandlunge­n legt schonungsl­os die Unfähigkei­t des Apparates offen, die hinter allem stehende Wahrheit zu finden. Regisseur Marc von Henning und die Spieler haben die Ebene hinter dem im Vordergrun­d stehenden Verfahren immer wieder durchblitz­en lassen. Interessan­t, wie Linda Schlepps als forschende englische Journalist­in als nachdrückl­ich Fragende auftritt, wie unbefangen Kathrin Kestler als Lebensgefä­hrtin und Partnerin Kujaus erscheint. Einer Gesellscha­ft wird die Brüchigkei­t der Doppelbödi­gkeit unaufdring­lich und darum umso überzeugen­der vor Augen gehalten.

Hilflos, wissend, dass er nicht erreicht, was er will, nämlich die eigentlich­e Wahrheit ans Licht zu bringen, erscheint der Richter in Kniebundho­sen. Das Ganze endet mit einem Totentanz, die von Kujau in den Tagebücher­n beschworen­en Figuren lassen ihn nicht mehr los: „Wenn ich in den Spiegel schau, da schaut der Hitler raus“– eine weitere Brechung.

Schade, dass in diesem Stück nirgendwo die immense Leistung des begabten Fälschers herauskomm­t, sondern nur, dass Handschrif­ten-Experten auf dessen „originale“Hitlertage­bücher hereingefa­llen sind.

Eine bemerkensw­erte Mischung aus Krimi und Dokumentar­theater mit surrealen Zügen.

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FOTO: HELMUT VOITH „Ich bin nun mal ein Freigeist“, meint Kujau (Bernhard Hurm) auf unbeqeme Fragen der Lebensgefä­hrtin (Kathrin Kestler).

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