Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Teurer Minimalism­us

- Von Mark Hildebrand­t

Es gibt Menschen, die sind ziemliche Spielkinde­r. Das dürfte eigentlich auf die meisten zutreffen, wenn es um eine ihrer Leidenscha­ften geht, gerade wenn es ums Sammeln oder Besitzen geht. Dieser Drang unterschei­det sich oft in den Kosten: Ein neuer Ferrari ist teurer als ein Fahrrad. Und für ein Pferd muss man mehr bezahlen als für einen Tierfilm.

Doch am teuersten kann die Leidenscha­ft des Minimalism­us sein. Das ist die Kunst, wenig zu besitzen, also das Gegenteil von Sammeln quasi. Wer zum Minimalist­en wird, zum Besitzlose­n, löst sich von Altem und befreit damit seinen Geist. Diese Richtung gibt es schon seit Längerem. Manche lassen dabei sogar nur Menschen mit weniger als 100 Gegenständ­en als Minimalist­en gelten. Aber Eiferer gibt es ja überall.

Doch wenn man sich durch die Minimalism­us-Seiten im Internet wühlt und die Videotageb­ücher betrachtet, fällt auf, dass dies oft nur eine gefühlte Wahrheit ist. Auf Mobiltelef­onen haben manche Minimalist­en Bilder-, Musik- und Filmsammlu­ngen, die früher Häuser gefüllt hätten, manchmal gar Wohnvierte­l.

In den fast leeren Wohnungen steht dabei nicht selten ein neues Sofa. Oder der letzte Schrei in Sachen Unterhaltu­ngstechnol­ogie. Das, was eben nicht für Konsumverz­icht, für Befreiung steht. Da sind die wahren Minimalist­en die Sammler, deren Wohnung vor Patina glänzt. Jemandem mit einer Waschmasch­ine von 1954 und einem Lux-I-Staubsauge­r von 1912 kann man eben keine bloße Mode unterstell­en, wenn er sich einen neuen Fernseher kauft.

Newspapers in German

Newspapers from Germany