Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Wohnmobilbranche beklagt Regelchaos
Zahlreiche Wohnmobile sind von Fahrverboten betroffen – Teure Ausnahmen
RAVENSBURG (mws) - Die Wohnmobilbranche fordert von der Bundesregierung im Hinblick auf die Dieselfahrverbote in vielen deutschen Städten einheitliche Regeln. „Durch die Politik ist ein großer Regelungswirrwarr entstanden, den viele Reisemobilisten nicht verstehen können“, sagte ein Sprecher des Deutschen Caravaning Instituts der „Schwäbischen Zeitung“. Der Caravaning Industrie Verband Deutschland fordert, „alles zu unternehmen, um einen Flickenteppich unterschiedlichster Regelungen zu vermeiden“.
RAVENSBURG - Was bislang nur für Immobilien als Kriterium Nummer eins galt – die unzählig oft zitierte „Lage, Lage, Lage“–, bringt nun Eigentümer von Wohnmobilen stark in Bedrängnis. Grund sind die Dieselfahrverbote. Wer in einer Verbotszone lebt, dem wird im schlimmsten Fall sogar das Beladen eines Mietgefährts vor der eigenen Haustür untersagt oder dem drohen hohe Kosten für Ausnahmegenehmigungen für das eigene Fahrzeug. Auch fallen künftig wohl immer mehr Städte als Reiseziel für Wohnmobilisten weg.
Weniger als fünf Prozent der knapp 500 000 in Deutschland zugelassenen Wohnmobile haben einen Benzinmotor. Ein verschwindend geringer Anteil wird mit Gas betrieben. Elektrofahrzeuge gibt es bestenfalls als Prototypen. Den Rest treiben Dieselaggregate an. Deshalb zittert der größte Teil der Wohnmobilbesitzer seit Februar, als die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts den Weg für Dieselfahrverbote frei machte.
Die in der Folge zur Luftreinhaltung zu Fahrverboten verdonnerten Städte suchen nun nach Lösungen – und finden meist sehr unterschiedliche, denn Ausnahmen soll es mit Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit ebenfalls geben. Einzelne Straßen sind in Berlin und Hamburg gesperrt oder sollen gesperrt werden. Großflächige Fahrverbote dagegen drohen in den Umweltzonen von Stuttgart, Frankfurt und Hannover.
„Unser Eindruck ist, dass generell eher eine Verunsicherung vorherrscht. Durch die Politik in Berlin ist ein großer und aus unserer Sicht auch völlig unnötiger RegelungsWirrwarr entstanden, den viele Reisemobilisten nicht verstehen können“, teilt ein Sprecher des Deutschen Caravaning Instituts (DCI) mit, das auch Fördermitglied des Dachverbandes der deutschen Reisemobilfahrer, der Reisemobil Union (RU), ist.
„Es liegt an der Politik, alles zu unternehmen, um einen Flickenteppich unterschiedlichster Regelungen in den Städten zu vermeiden. Die Autofahrer, die seit Monaten durch die Fahrverbotsdebatte verunsichert wurden, brauchen rechtliche Klarheit“, fordert auch der Caravan Industrie Verband Deutschland (CIVD).
Seit Jahren boomt die Branche. 2017 war das siebte Jahr in Folge mit einem Rekord bei Neuzulassungen allein von Reisemobilen. Das Wachstum im Vergleich zum Vorjahr betrug dabei 22 Prozent. Der Umsatz mit Reisemobilen stieg im gleichen Zeitraum um 25,5 Prozent auf 4,97 Milliarden Euro. Und auch 2018 könnte ein weiteres Rekordjahr werden.
Ob die drohenden Fahrverbote diesen Trend gefährden, dazu haben sich weder Deutschlands größter Hersteller von Freizeitfahrzeugen, die Erwin Hymer Group (Bad Waldsee), noch der Luxushersteller Carthago (Aulendorf) auf Nachfrage der „Schwäbischen Zeitung“geäußert.
Wie das Fahrverbot für Diesel beispielsweise in der hessischen Mainmetropole Frankfurt genau aussehen soll, das wissen weder die Stadt noch das Bundesland. „Details zum räumlichen Geltungsbereich oder zu Ausnahmeregelungen“stünden „noch nicht fest“, heißt es mittlerweile schon seit Mitte September auf der Webseite der Stadt Frankfurt. Stadt und Land klagen, wie die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“berichtet, derzeit noch vor dem Verwaltungsgerichtshof in Kassel auf Zulassung der Berufung gegen das Dieselurteil des Verwaltungsgerichts Wiesbaden. Verkehrsdezernent Klaus Oesterling (SPD) spreche jedoch bereits von einer großflächigen Fahrverbotszone.
Hohe Gebühren
Dass es in der Finanzmetropole Ausnahmen geben muss, hat demnach bereits das Verwaltungsgericht entschieden. Jedoch heißt es in dessen Urteil auch, Ausnahmen seien so zu gestalten, „dass der Schadstoffminderungseffekt des Fahrverbots nicht ausgehebelt wird, sondern vielmehr wirksame Anreize zur baldigen Umbzw. Nachrüstung der betroffenen Fahrzeuge gesetzt werden. Dies erscheint beispielsweise durch grundsätzlich gebührenpflichtige und in der Regel auf nicht länger als sechs Monate befristete Ausnahmegenehmigungen möglich.“
Der Haken an der Sache ist, dass es derzeit keine Möglichkeit gibt, Diesel der Euro-4- und Euro-5-Norm auf die nächst höhere Abgasnorm Euro 6 umzubauen. Außerdem wird diese sogenannte Hardware-Nachrüstung, wenn sie dann verfügbar sein sollte, ganz schön ins Geld gehen – Experten rechnen mit mehreren Tausend Euro. Und selbst wer einen Euro-6-Diesel sein Eigen nennt oder derzeit kauft, läuft Gefahr, von Fahrverboten betroffen zu sein. Denn nicht alle Modelle entsprechen jener Norm, die derzeit nicht unter die Verbote fällt und Euro 6d oder Euro 6d temp heißt. Diese sind für Neuzulassungen erst ab September 2019 verpflichtend.
Die Sorgen der Wohnmobilfahrer, die das DCI beziehungsweise die RU noch weitgehend neutral formulieren – „ob es den einzelnen Städten gelingt, eine Regelung zu finden, die auch die Belange der Tagestouristen und lediglich durchfahrenden Wohnmobile umfasst ist heute nicht absehbar“–, dürften mit Blick auf die Situation in Stuttgart wohl noch größer werden. Denn die Regelung in der baden-württembergischen Landeshauptstadt hat gleich mehrere Haken.
Kurze Fristen
Die Stuttgarter wollen „Fahrten von Wohnmobilen zu Urlaubszwecken“vom Dieselfahrverbot ausnehmen. So weit so gut, doch die Ausnahme gilt nur für Wohnmobile, die vor dem 1. Januar 2019 auf den aktuellen Halter zugelassen worden sind. Wird ein Fahrzeug danach verkauft, greift wohl das Fahrverbot. Doch damit nicht genug: Die Ausnahme muss in jedem Einzelfall beantragt werden – Jahr für Jahr. Wie teuer das Ganze wird? Die Stadt „wird die Gebührenfrage noch regeln“, heißt es.
Am Ende heißt das entweder nicht fahren oder zahlen. Doch der Branchenverband CIVD gibt sich verhalten optimistisch: „Wir halten es für nicht unwahrscheinlich, dass doch noch pragmatische Lösungen gefunden werden.“
Ferner gehe man davon aus, dass in mehr oder weniger absehbarer Zeit „die Anzahl der Städte, die Grenzwerte überschreiten und potenziell von Fahrverboten betroffen sind, sich deutlich verringert“. Grund für die Hoffnung sind bereits ergriffene und geplante Maßnahmen, wie Software-Updates, Umtauschprämien, Flottenerneuerung sowie die Nachrüstung von Bussen und kommunalen Fahrzeugen.
Wie teuer es für Wohnmobilfahrer bis dahin werden kann, zeigt das Beispiel Hannover. Die Details seien zwar „völlig offen“, wie es seitens der Stadtverwaltung heißt, aber „eine Kurzzeitausnahme (zum Beispiel zum Beladen des Wohnmobils, wenn der Wohnort in der Umweltzone liegt) würde es sehr wahrscheinlich weiterhin geben“. Aktuell kostet die Ausnahme für Spezialfahrzeuge wie Wohnmobile 24 Euro für sieben Tage oder 200 Euro für bis zu zwei Jahre, „wenn in der Umweltzone Hannover weniger als 200 Kilometer im Jahr“gefahren werden.