Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Ravensburger Bürgermeister verabschiedet sich aus Facebook
Simon Blümckes Kritik: Kommunikation zu oberflächlich, Verbreitetes wird oft nicht hinterfragt
RAVENSBURG - Ravensburgs Erster Bürgermeister Simon Blümcke hat sich diese Woche vom sozialen Netzwerk Facebook verabschiedet.
Er beklagte in seinem letzten Eintrag zunehmende Hetze im virtuellen Raum. Echter Austausch finde nicht mehr statt. Statt Meinungen würden schlichte Parolen verbreitet, schrieb Blümcke, die Quelle einer vermeintlichen Nachricht werde von vielen Nutzern nicht geprüft, stattdessen würden Informationen unreflektiert verbreitet. „Daher trägt diese Plattform bei vielen zur Vereinfachung des Weltbildes bei gleichzeitigem Fortbestand von Komplexität der Wirklichkeit bei.“Und weiter: „Mir gibt Facebook viel weniger, als es nimmt. Daher werde ich meinen Account in den kommenden Tagen löschen.“Inzwischen ist Blümcke in dem Netzwerk nicht mehr aufzufinden.
Mit Robert Habeck hat diese Woche auch der Bundesvorsitzende der Grünen soziale Netzwerke im Internet verlassen. Die Kommunikation Simon Blümcke
im Kurznachrichtendienst Twitter habe ihn verändert, habe seine Äußerungen aggressiver, lauter, polemischer und zugespitzter gemacht. Und über Facebook seien private Daten geklaut und öffentlich gemacht worden. Deshalb löschte auch er sein Facebook-Profil.
„Was in beiden Fällen, Habeck und Blümcke, nachdenklich stimmt, ist der Eindruck, dass quasi allein das Medium ,schuld’ an der Kommunikationsveränderung sein soll“, sagt der Studiengangsleiter im Bereich BWL, Studienrichtung Medien- und Kommunikationswirtschaft, an der Dualen Hochschule in Ravensburg, Tobias Krohn. „Es sind aber die Menschen, die kommunizieren.“Bevor man einen Beitrag oder Kommentar abschickt, habe jeder die Möglichkeit, noch mal nachzudenken.
Krohn bestätigt aber Blümckes Eindruck, dass die Kommunikation bei Facebook oberflächlich ist. Das Netzwerk werde immer öffentlicher und weniger privat. „Wenn man also mehr Tiefgang möchte, sind soziale Netzwerke tatsächlich eher das falsche Medium“, sagt Krohn. Ob man sich deswegen gleich ganz davon verabschieden muss, bezweifle er allerdings.
Blümcke war einst Facebook-Fan. Beigetreten ist er 2007 als junger Bürgermeister mit vielen Studienfreunden im Ausland. Nachdem das Netzwerk um 2011 herum auch in Deutschland immer mehr Nutzer gewann, hat Blümcke Facebook als Instrument der direkten Kommunikation mit den Bürgern geschätzt – in Ergänzung zu bestehenden Medien, wie er betont. „Die Menschen haben sich mit kleinen Wehwehchen und Bedürfnissen direkt an mich gewandt“, sagt Blümcke. Die Hemmschwelle, dem Bürgermeister zu schreiben, war im sozialen Netzwerk offenbar geringer.
Und genau daraus wurde aus Blümckes Sicht ein grundsätzliches Problem des Netzwerks: „Die Menschen werden dort schnell hemmungslos.“Im Netz fehlten die Regeln. „Es ist uns nicht mal im Ansatz gelungen, eine Netiquette zu etablieren“, sagt er. Inzwischen hatte er nach eigenen Angaben rund 2500 Facebook-Freunde und Abonnenten. Er sei selten selbst angefeindet worden. Doch er habe Diskussionen beobachtet, die man moderieren und steuern müsse. „Diese Ressource hat kaum jemand, ich auch nicht.“Deshalb habe er sich schleichend zurückgezogen.
Lob für „digitale Zivilcourage“
Er bewundere andere Nutzer, die Zeit investieren, um Fake-News zu widerlegen, sich in Diskussionen einzumischen und dadurch „digitale Zivilcourage“zu zeigen. Dies sei löblich, koste aber ebenfalls viel Zeit. „Facebook war über Jahre ein ordentlicher Kommunikationskanal“, sagt Blümcke. „Heute ist das eine Ansammlung verschiedener Echokammern.“Und er beschreibt, was er damit meint: Der Facebook-Algorithmus bestimme, welche Beiträge ein Nutzer angezeigt bekommt. Wie das genau funktioniere, wisse aber niemand. „Facebook suggeriert nur, dass der Nutzer die Kontrolle über die angezeigten Informationen hat.“
Grundsätzlich müsse die Stadt Ravensburg überdenken, wie sie auf Facebook präsent sein will. Dazu werde es in nächster Zeit Neuigkeiten geben.
Blümcke nutzt derzeit nach eigenen Angaben keine anderen sozialen Netzwerke. „Ich bin gerade mal total abstinent, mediales Fasten tut gut“, sagt er. Wer wirklich was Wichtiges hat, soll den Telefonhörer in die Hand nehmen“, sagt er. „Wir sollten wieder mehr Mut haben, miteinander zu sprechen.“