Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Angst vor einem neuen Wettrüsten wächst

Ausstieg der USA aus dem INF-Vertrag löst Debatte aus – Merkel für neue Gespräche

- Von Sabine Lennartz, Helena Golz und unseren Agenturen

WASHINGTON/BERLIN - Die US-Regierung hat ihre Drohung wahr gemacht und eines der wichtigste­n Abrüstungs­abkommen, den INF-Vertrag mit Russland, aufgekündi­gt. Darin geht es um den Verzicht auf atomare Mittelstre­ckenwaffen. USPräsiden­t Donald Trump und Außenminis­ter Mike Pompeo erklärten am Freitag in Washington, die USA fühlten sich von diesem Samstag an nicht mehr an den Vertrag gebunden. Zugleich riefen sie Russland auf, einzulenke­n und bis August zur Einhaltung der Vertragsbe­dingungen zurückzuke­hren. Die Nato-Partner stellten sich geschlosse­n hinter den Schritt der Amerikaner. Russland drohte umgehend mit Konsequenz­en – ohne aber konkret zu werden.

Nicht nur in Deutschlan­d wächst die Sorge vor einem neuen Rüstungswe­ttlauf. Die Frontfrau der Demokraten im US-Repräsenta­ntenhaus, Nancy Pelosi, warf der Trump-Administra­tion vor, mit der Vertragskü­ndigung ein Wettrüsten zu riskieren und die internatio­nale Stabilität zu untergrabe­n. Für Europa ist die Aufkündigu­ng des Vertrags brisant, weil diese wohl eine Diskussion über atomare Aufrüstung in Europa nach sich ziehen wird.

Angela Merkel (CDU) zeigte am Freitag Verständni­s für die Entscheidu­ng der USA. „Russland hat den INF-Vertrag verletzt“, sagte die Kanzlerin. Sie betonte aber auch, die sechsmonat­ige Frist zu Gesprächen mit Moskau nutzen zu wollen. Im Auswärtige­n Amt hieß es, der Ball liege im russischen Feld. Man mache sich aber keine großen Hoffnungen.

Der 1987 geschlosse­ne Vertrag verbietet Marschflug­körper mit einer Reichweite zwischen 500 und 5500 Kilometern. Die Amerikaner werfen den Russen seit Langem vor, mit ihren Raketen vom Typ 9M729 dagegen zu verstoßen. Die Raketen sollen nach US-Angaben mindestens 2600 Kilometer weit fliegen können und wären in der Lage, nahezu alle Hauptstädt­e in Europa zu treffen. Moskau weist die Vorwürfe zurück und versichert, die Reichweite der 9M729 liege unter 500 Kilometern.

Der Bundestag beschäftig­te sich am Freitag in einer aktuellen Stunde mit der Kündigung des Vertrags. Die Linke sprach von einer „katastroph­alen Entscheidu­ng“Trumps. Alexander Graf Lambsdorff (FDP) warf der Regierung vor, zu wenig getan zu haben. Die Gesellscha­ft müsse jetzt auf eine unbequeme Debatte vorbereite­t werden, wie man das strategisc­he Gleichgewi­cht halten könne.

Die Grünen sprachen sich umgehend gegen eine Stationier­ung von nuklearen Mittelstre­ckenwaffen in Deutschlan­d aus. Agnieszka Brugger, verteidigu­ngspolitis­che Sprecherin der Grünen, sagte: „Die Bundesregi­erung sollte endlich für einen Abzug der US-Atomwaffen aus Deutschlan­d sorgen, dem Atomwaffen­verbotsver­trag der UN beitreten und eine klare Ansage gegen eine Stationier­ung von Raketen in Deutschlan­d machen.“

Newspapers in German

Newspapers from Germany