Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Glückliche Wendung
Thor kauft Erwin-Hymer-Gruppe trotz Finanzaffäre, zahlt aber 170 Millionen Euro weniger
BAD WALDSEE - Positives Ende nach unruhigen Tagen: Der US-Marktführer Thor kauft nun doch ohne längere Verzögerungen die Erwin-HymerGruppe (EHG) mit Sitz in Bad Waldsee (Kreis Ravensburg). Nach den finanziellen Unstimmigkeiten bei der Nordamerikatochter von EHG hatten die Vertragspartner, die Familie Hymer und der Wohnmobilhersteller mit Sitz in Elkhart im US-Bundesstaat Indiana, den Abschluss des Vertrages verschoben und einige Punkte neu verhandelt. Thor übernimmt Europas größten Hersteller von Wohnmobilen und Caravans nun ohne das Nordamerika-Geschäft der EHG, das weiter im Besitz der Familie Hymer bleibt. Dafür reduziert sich der ausgehandelte Kaufpreis um 170 Millionen. Die Witwe von Unternehmensgründer Erwin Hymer und die Kinder Carolin und Christian erhalten nun rund 1,9 Milliarden Euro – davon rund 126 Millionen Euro in Form von 2,3 Millionen Thor-Aktien, den Rest in bar. Zudem verringern sich die Schulden, die Thor von der EHG übernimmt um 180 Millionen Euro.
„Als Vorstandsvorsitzender der Erwin-Hymer-Group freue ich mich sehr, dass der Zusammenschluss mit Thor, trotz der Ereignisse in Kanada, nun doch vollzogen wurde“, sagte Martin Brandt, der Chef des oberschwäbischen Traditionsunternehmens der „Schwäbischen Zeitung“. „Ausschlaggebend war die von Anfang an sehr vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Thor Industries und der Familie Hymer. Der heutige Tag ist ein weiterer Meilenstein auf unserem Weg in eine erfolgreiche Zukunft.“Durch den Zusammenschluss von Thor und der EHG entsteht weltweit der größte Hersteller von Wohnmobilen und Wohnwagen.
Eigentlich wollten Martin Brandt und Thor-Chef Bob Martin den Abschluss auf der Messe CMT in Stuttgart Mitte Januar bekannt geben, diesen Termin verschoben die Unternehmen allerdings. Wenige Tage später musste EHG bestätigen, dass es bei der Nordamerikatochter „im Reporting Unregelmäßigkeiten“gab. Hintergrund der Finanzaffäre sind nach Informationen des US-Branchenmagazins „RV Daily Report“mehr als 1700 gefälschte Rechnungen im Gesamtwert von mehr als 100 Millionen Dollar. Mit denen soll der Vorstand der Nordamerikatochter den Umsatz des Tochterunternehmens in die Höhe getrieben und zum Teil Gelder auf Privatkonten umgeleitet haben. Die EHG hat Vorstandschef Jim Hammill, Finanzchef Mark Weigel und Produktionsvorstand Howard Stratton suspendiert und eine Prüfung der Vorgänge eingeleitet.
Was die Familie Hymer nun mit der Nordamerikatochter macht, ist noch unklar. „Es ist noch zu früh, um eine Strategie abzuleiten“, erklärte EHG-Sprecher Stefan von Terzi. „Wir müssen jetzt erst einmal die Ergebnisse der Untersuchung abwarten.“
Trotz der ungeplanten Ereignisse äußerte sich der Käufer sehr erfreut über den Abschluss des Geschäftes. „Dies ist ein besonderer Moment für Thor. Denn mit dem Abschluss der Übernahme können wir sofort eine führende Position im dynamischen europäischen Markt für Freizeitfahrzeuge einnehmen“, sagte Thor-Chef Bob Martin. Und die Familie Hymer kündigte an, der EHG weiter verbunden zu bleiben. „Mit Thor haben wir den idealen, langfristig orientierten strategischen Eigentümer für dieses großartige von unserem Vater aufgebaute Unternehmen gefunden“, erklärte Christian Hymer. „Als Anteilseigner ist unsere Familie voll und ganz dem langfristigen Erfolg von Thor und der EHG verbunden.“