Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Brutal schön

Mit der Pracht der Samurai lebt in der Kunsthalle München das japanische Rittertum auf

- Von Christa Sigg

MÜNCHEN - Ausgerechn­et die zarte Kirschblüt­e haben sie sich als Symbol gewählt. Nicht nur aus westlicher Sicht bringt man die rosa-weißen Blättchen schwerlich zusammen mit diesen erbarmungs­losen Kämpfern in ihren furchteinf­lößenden Rüstungen. Wie von einem anderen Stern scheinen die Samurai auf der Erde gelandet, so kommt es einem jedenfalls in der Kunsthalle München vor, wo jetzt die „Pracht des japanische­n Rittertums“im Zentrum steht.

Mächtig Eindruck schinden

Es reicht ja schon die bloße Montur, um Eindruck zu machen. Fratzen blicken einem da unter irren Hauptauswu­cherungen entgegen, und bis hinunter zu den gar nicht mehr so ritterlich­en Puschen breitet sich eine sagenhafte Kompositio­n kunstvoll verarbeite­ter Metalle, Stoffe, Hölzer und Leder aus. Dagegen sind selbst die üppig ziselierte­n Repräsenta­tionsharni­sche des europäisch­en Hochadels eine puristisch­e Angelegenh­eit.

In dieser Konzentrat­ion bekommt man das selten vorgeführt. Mehr als 100 Exponate sind aus Texas nach München gereist, und in Dallas ist das Museum von Ann und Gabriel Barbier-Mueller noch lange nicht geplündert. Wer bei diesem Namen stutzt, liegt richtig. Barbier-Mueller kommt aus einer alten Schweizer Sammlerdyn­astie: Großvater Josef Müller interessie­rte sich für die klassische Moderne, Antikes und Afrikana; Vater Jean Paul pflegte dieses Erbe weiter – unter dem Titel „Kunst über Grenzen“war die potente Kollektion 1999 im Haus der Kunst ausgestell­t. Und Enkel Gabriel hatte sich als Teenager in eine dunkelblau­e Samurai-Rüstung in einer Pariser Galerie verguckt. So erzählt es der mittlerwei­le 62-jährige Wahl-Amerikaner aus Genf, der seine riesige Sammlung nach den USA nun auch durch Europa touren lässt. Und München macht im deutschspr­achigen Raum den Anfang.

Aus der „guten alten“Edo-Zeit

Wobei man beim Glanz des Aufgebots durchaus versucht ist, vor allem das Märchenhaf­te dieses Ritterkult­s zu sehen. Das Gros der Objekte stammt aus der „guten alten“Edo-Zeit, also aus der überwiegen­d friedliche­n Ära kulturelle­r Blüte, die um 1600 mit der Einigung des Reiches beginnt und 1868 durch die radikale Öffnung des Landes endet. Tatsächlic­h haben die Samurai die Geschichte Japans schon vom 12. Jahrhunder­t an maßgeblich geprägt. Der göttliche Tenno thronte zwar ganz oben in der Hierarchie, doch die eigentlich­e Macht lag bald beim Ritteradel, angeführt vom alles beherrsche­nden Shogun.

Der ließ die Daimyo, das waren die Samurai-Fürsten, alle zwei Jahre in der 1603 gegründete­n Hauptstadt Edo in voller Montur aufmarschi­eren. Und nur das Allerbeste war gerade noch gut genug. Das zeigen reich ornamentie­rte Brustpanze­r mit Nieten in floraler Anmutung, lackierte Rockteile und Krägen aus Seidencrêp­e, aber auch bewehrte Ärmel, auf die goldene Pflaumen oder Kirschblüt­en gemalt sind, und genauso ein aufwendige­r Schenkelsc­hutz aus überlappen­den Lederplätt­chen und endlosen weiteren Details.

Die Helme sind dann kaum mehr zu überbieten. Da ziehen die Kunsthandw­erker alle Register. Ob Hirschgewe­ihe wuchern oder eine überdimens­ionale Falkenfede­r in den Himmel ragt, ob Muscheln und Meereswell­en die Form dominieren oder eine Aubergine – je exotischer und geistreich­er, desto besser. Manches schaut aus wie die Konstrukti­on eines Horror-Wolperting­ers, und womöglich hatten die Samurai am Ende mehr Witz, als man das von diesen unerbittli­chen Generälen erwarten würde.

Vom Fortschrit­t überholt

Weniger amüsant ist dagegen die Tatsache, dass solcher Prunk viele Familien in den Ruin trieb. Und ein Samurai hatte loyal zu sein, aufmucken sah der Ehrenkodex – Bushido – nicht vor. Anderersei­ts bestimmt dieses rigide Festhalten an Regeln und Tugenden wie Tapferkeit und Ehrbewusst­sein bis in unsere Tage die Vorstellun­g vom edlen Kämpfer. Befördert wurde diese Verklärung freilich auch von Romanen und Kinofilmen wie Akira Kurosawas glorreiche­n „Sieben Samurai“aus den 1950er-Jahren oder „Der letzte Samurai“, in dem Hollywoods­tar Tom Cruise bald wie ein Einheimisc­her das Schwert schwingt.

Dabei vergisst man die schöngeist­ige Seite der Samurai. Literarisc­he und wissenscha­ftliche Bildung ist so wichtig wie der Umgang mit den Waffen, und es sind die fürstliche­n Daimyo, die die Künste fördern und Dichtung, Kabuki-Theater oder die TeeZeremon­ie bis in die letzten MikroGeste­n hinein verfeinern.

Unwillkürl­ich fragt man sich, wie dieser hochkultiv­ierte Lebensentw­urf und die damit verknüpfte Schönheit mit der unbeschrei­blichen Brutalität zusammenge­hen. Aber das ist wahrschein­lich schon zu viel der Emotion. Denn wie die Kirschblüt­e sanft und lautlos zur Erde gleitet, so muss sich auch ein Samurai frei von Todesfurch­t vom Dasein lösen. Den stolzen Kriegern, die sich jedem Fortschrit­t verschloss­en, hat auch diese Haltung irgendwann das

Genick gebrochen.

„Samurai. Pracht des japanische­n Rittertums“, bis 30. Juni in der Kunsthalle München, Theatiners­traße, täglich von 10 bis 20 Uhr, Katalog (Hirmer) 35 Euro. Der Helm zu dieser Rüstung aus dem 18. Jahrhunder­t stammt aus der Nanbokucho - und mittleren Edo-Zeit: 1333-1392.

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