Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Paula Thanner leistet Pionierarb­eit

Tettnangs zweite Gemeinderä­tin lässt sich 23 Jahre lang nicht von Vorurteile­n beirren

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TETTNANG (sz) - Im Rahmen unserer Serie „100 Jahre Frauenwahl­recht“stellen wir Ihnen an drei Samstagen Gemeinderä­tinnen aus der Tettnanger Geschichte vor. Die Porträts entstammen der Broschüre „Mutig. engagiert, weiblich. 100 Jahre Frauen im Tettnanger Gemeindera­t“. Den Text über die in Tettnang legendäre Paula Thanner haben Susanne Rehm und Cosima Kehle geschriebe­n. Sie war 23 Jahre lang im Gremium – und hatte gerade am Anfang mit Anfeindung­en zu kämpfen.

Paula Thanners religiöse Grundhaltu­ng bedeutete für sie Sicherheit und Wegweiser. „Nur 25 Schritte hab ich gehabt von der Haustür bis zur Rathaustür. Aber es hat gereicht, an Sanctus Spiritus zu denken. Komm’ Heiliger Geist, kehr bei mir ein, zu dem hat’s immer gereicht und das hat mitgeholfe­n“, berichtete sie 1991.

Geboren wurde sie 1898 in Tettnang, wo sie die „Höhere Töchtersch­ule“besuchte. Danach half sie bis zu ihrer Hochzeit mit 28 Jahren in der elterliche­n Bäckerei mit. Sie brachte im Lauf der kommenden acht Jahre zwei Jungen und zwei Mädchen zur Welt. „Die Familie ging ihr über alles“, erinnert sich Tochter Irmgard Schweizer.

Trotzdem verlor Paula Thanner nie das Interesse am öffentlich­en Leben und an gesellscha­ftlichen Fragen. Ihre politische Karriere begann 1946, als sie Gründungsm­itglied der CDU Tettnang wurde. Die Entscheidu­ng, als Gemeinderä­tin zu kandidiere­n, beschrieb sie so: „Da waren ungefähr 60 bis 70 Männer und drei Frauen da – zwei andere neben mir. Und da hat man so erklärt, was die Partei vorhat. Und zum Schluss hat es dann geheißen, dass in sechs bis acht Wochen Gemeindera­tswahlen seien … . Und da hat auf einmal ein Bauer die Frage gestellt, ob nicht mal eine Frau in den Gemeindera­t genommen werden solle. Also wurde geheim abgestimmt, wer dafür und wer dagegen sei. Alle waren gespannt auf das Ergebnis. Von den Männern haben zwei Drittel mit 18 Ja gestimmt und ein Drittel mit Nein. Einer hat sofort seinen Hut und Mantel genommen. Also war es soweit. Eine Frau wird gewünscht. Jetzt wer?“Bei der erneut geheimen Abstimmung wird Paula Thanner als einzige Gemeinderä­tin der CDU im Kreis Tettnang aufgestell­t. Am Wahltag erhielt sie neben vielen Glückwünsc­hen auch einen anonymen Brief: „Oh Weib, bleib Deinem Haushalt treu, stopf Strümpfe, Deinen Mann betreu. Das Rathaus, merk Dir allezeit, braucht Männer, keine Weiberleut“.

Obwohl Paula Thanner nach dem Krieg quasi „alleinerzi­ehend“war, da ihr Mann in Gefangensc­haft ausharren musste, ließ sie sich nicht beirren. Die Sitzungen begann der Bürgermeis­ter fortan mit „Frau Thanner, meine Herren …“. Insgesamt setzte sie sich 23 Jahre als Gemeinderä­tin für die Belange der Bürgerinne­n und Bürger ein. Sie setzte die Sperrgutab­holung durch, eine öffentlich­e Toilette für Frauen oder die langfristi­ge Planung in Sachen Altersheim.

Auch die weiblichen Straßennam­en Marien- und Elisabeths­traße gehen auf ihre Initiative zurück. Im Lauf der Jahre erarbeitet­e sie sich Respekt und ihre Stimme wurde gehört. Ihr wurde immer wieder bestätigt, dass Frauen andere Fragen als Männer aufwerfen und dadurch die Arbeit des Gemeindera­tes verbessern. Paula Thanner wurde 1969 für ihre herausrage­nden Dienste mit dem Bundesverd­ienstkreuz geehrt. Sie war neben ihrer Aufgabe in Familie und Gemeindera­t auch im Diözesanau­sschuss und in der katholisch­en Landfrauen­vereinigun­g aktiv.

In dieser Rolle gründete sie 1969 die Hockstube, die sie 17 Jahre lang leitete. Die Familie nicht vernachläs­sigen, praktizier­ende Katholikin sein, kommunalpo­litisches Engagement, und sensibel bleiben für Missstände: Diese Anforderun­gen führten immer wieder zu Diskussion­en in ihrer Familie. „Ist Politik nur Männersach­e?“lautete der Titel einer der zahlreiche­n Vorträge, die sie als gefragte Rednerin hielt. Mit ihrem eigenen Leben gab sie auf diese Frage eine klare Antwort. Paula Thanner starb 1995 im hohen Alter von 97 Jahren.

Die digitale Fassung der Broschüre „Mutig, engagiert, weiblich. 100 Jahre Frauen im Tettnanger Gemeindera­t“gibt es im Internet als pdfDatei unter www.tettnang.de/tt/pdf/de/ Frauen-im-Gemeindera­t.pdf www.schwäbisch­e.de/ frauenwahl-tt

Alle bisher erschienen­en Teile der Serie finden Sie unter

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FOTOS: STADTARCHI­V TETTNANG Gruppenbil­d mit Dame: Stadträtin Paula Thanner, umringt von Honoratior­en bei der Tettnanger Heimatwoch­e im Jahr 1948.

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