Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Seminare in Kunst- und Kulturgeschichte
Im Innern des klassizistischen Schranks, den Benjamin Bonzelet gerade nach allen Regeln der Kunst restauriert, klebt noch ein Stück Tapete. Nur so groß wie eine kleine Wandkachel und bei genauerem Hinsehen an den Rändern ein wenig ausgefranst, für die Besitzer des Möbelstücks aber doch eine kleine Kostbarkeit. Die zart verschlungenen Ornamente in Königsblau und Weiß auf grauem Grund sind in hundert Jahren kaum verblasst. Sie als schönes Zeugnis der handwerklichen Fertigkeit und künstlerischen Fantasie der Menschen einer längst vergangenen Epoche zu erkennen und zu erhalten, darum vor allem geht es in der Werkstatt des Schreinermeisters und Restaurators im Handwerk Anton Frei. Ein Grund für Benjamin aus seiner Heimatstadt im Rheinland nach Kißlegg zu ziehen. Nach erfolgreicher Schreinerlehre mit einem Preis für sein Gesellenstück im Wettbewerb „Die gute Form“und einem Stipendium für einen dreimonatigen Kurs für Restaurierung und Denkmalpflege im Centro Europeo Villa Fabris in Thiene ist er im Allgäu angekommen, und er findet, das ist hier eine besonders gute Gegend, um in diesem schönen Metier zu arbeiten und vor allem zu lernen. Natürlich freut das Anton Frei, der in seiner Schreinerwerkstatt außer Benjamin noch drei Gesellen beschäftigt, dazu zwei Meister, drei Lehrlinge und eine Kirchenmalerin. Man spürt schnell, sagt er, ob ANZEIGEN ein junger Mensch einen Sinn hat für die Arbeit mit dem Holz. Er selber hat vor Jahrzehnten in einer kleinen Kißlegger Tischlerei seine Lehre gemacht, gleich neben seinem Elternhaus. So lernen zu dürfen, wie er es damals durfte, sei ein großes Glück. Sein Meister war streng. Ob Haustüren, Möbel für die Küche oder Altar und Ambo für die Kirche – es musste immer alles hundertprozentig sein. Die gewissenhafte Arbeitsweise, die er von ihm mitbekommen hat, war das eine. Das andere nennt Frei „die innere Einstellung“zu seinem Handwerk, den aufmerksamen Blick auf die Spuren, die es hinterlässt. Schon als Lehrling hat er sich vorgenommen, später Restaurator zu werden. Wer Restaurator im Tischlerhandwerk werden will oder in einem anderen Gewerk wie Zimmerer, Maurer oder Maler, der muss zunächst seinen Meister machen. Frei hat sich nach der Meisterschule in Freiburg das erforderliche Rüstzeug in der Propstei Johannesberg in Fulda geholt. Für die Fortbildung in Denkmalpflege und Altbauerneuerung scheint es heute wie vor 25 Jahren kaum einen inspirierenderen Ort zu geben als diese mittelalterliche Klosteranlage mit den Seminarräumen und Werkstätten im ehemaligen Marstall.
Im Unterschied zu damals gibt es nun freilich eine Homepage, auf der man sich vorab kundig machen kann über die mehrwöchigen Kurse und die abschließende Prüfung vor der Handwerkskammer. Demnach beginnt es mit einem gewerkeübergreifenden Teil zu Bau-, Kunst- und Kulturgeschichte, Werk- und Baustoffkunde, Bestandsaufnahme und Dokumentation, Denkmalschutz und Denkmalpflege. Im fachspezifischen praktischen Teil werden die historischen Herstellungstechniken von Möbeln, Fenstern, Türen und Innenausbauteilen vorgestellt und exemplarisch einzeln eingeübt sowie die Merkmale der verschiedenen Stilepochen vermittelt. Ein besonderer Schwerpunkt liege auf den Restaurierungs- und Konservierungstechniken, heißt es. Das Mitbringen von eigenen Möbeln oder Möbelteilen sei wünschenswert. An dem klassizistischen Schrank in seiner Werkstatt kann Frei schön demonstrieren, was es zum Beispiel mit der Reversibilität auf sich hat. Ein Begriff, um den es in der Fortbildung immer wieder geht, weil er längst zentral ist in der Denkmalpflege. Eingriffe in ein Werk, wenn sie notwendig erscheinen, um es zu erhalten, sollten demnach auf ein Minimum beschränkt werden und stets wieder rückgängig gemacht werden können.
Leimen mit selbstgekochtem Knochenleim
Benjamin hat das abgebröselte Schrankstück oben links behutsam durch ein von Hand gefertigtes neues Teil ersetzt und es mit selbstgekochtem Knochenleim verleimt. Der lässt sich anders als chemischer Leim leicht wieder lösen, erkärt Frei: „Wenn in 100 Jahren einer sagt, das gefällt ihm nicht, was der Benjamin hier gemacht hat, dann muss er da nur einen Heißluftfön Der Bundesfreiwilligendienst bietet eine optimale Gelegenheit um sich beruflich zu orientieren, Verantwortung zu übernehmen oder sich einfach nur freiwillig zu engagieren. Neben allgemeinen Verwaltungstätigkeiten dürfen unsere „Bufdis“bei der Organisation und Durchführung vieler verschiedener Events mithelfen. draufhalten.“Neben dem Topf mit dem Leim hält der Geselle an seinem Arbeitsplatz noch weitere Töpfe am Dampfen. So einen mit bernsteinfarbenem Schellack, das er mit einem Stoffballen sanft auf der Schrankfront verstreicht, worauf die natürliche Maserung des Kirschbaumfurniers eindrucksvoll zutage tritt. Aber auch Risse, kleine Wurmlöcher und Gebrauchsspuren werden wieder sichtbar. Solcherlei vermeintliche Makel etwa hat man vor noch gar nicht langer Zeit kurzerhand abgeschliffen und damit nicht selten auch Spuren alter Handwerkstechniken unwiederbringlich zerstört, aus denen heutige Restauratoren hätten lesen und lernen können.
Der Beruf bedeutet ständiges Lernen, auch für einen Meister wie Frei, der seit einem Vierteljahrhundert seine eigene Werkstatt führt, nebenher in Seminaren aber immer noch neue Einsichten und Anregungen findet. Ein Seminar beim Chefrestaurator der Bayrischen Schlösserverwaltung ist ihm besonders in Erinnerung geblieben, wegen der ansteckenden Begeisterung für sein Fach, die der Referent dabei ausstrahlte.
Erfahrene Dozenten aus der Region
Um zu bewundern, was dabei herauskommt, wenn einer brennt für sein Handwerk, muss man auch im Allgäu nicht weit gehen. In Leutkirch zum Beispiel nur bis zum alten Pfarrhaus in Merazhofen, das erst vor Kurzem eine sorgsame Restaurierung erfahren hat. Das Schöne an dieser Arbeit hierzulande sei die traditionell gute Zusammenarbeit aller Gewerke, ohne die in der Denkmalpflege nichts geht, sagt Frei. Speziell für den Restauratorennachwuchs im Zimmererhandwerk bietet auch das Bildungszentrum Holzbau Biberach Fortbildungskurse an mit erfahrenen Dozenten aus der Region. Die Restaurierungsarbeiten machen gut drei Viertel seiner Aufträge aus, doch nicht jeder, der bei Frei in die Lehre geht, schlägt diese Richtung ein. Manche entscheiden sich für ein Hochschulstudium, bevorzugt Innenarchitektur oder Design. Auch dafür sind sie bestens gerüstet, weil sie zuvor gelernt haben, mit eigenen Händen so schöne Dinge zu schreinern wie eine private Bibliothek oder eine Küche aus Ulmenholz. Mit einer verwegenen Einrichtung der Mitarbeiterwohnküche über der Werkstatt haben die beiden Söhne von Anton Frei erst kürzlich gezeigt, was sie können. Vor sechs Jahren ist er mit seinem Betrieb aus Kißlegg hinaus in das neue Gebäude im Ortsteil Zaisenhofen gezogen. Die Architektenkammer Baden-Württemberg hat es inzwischen für beispielhaftes Bauen ausgezeichnet. Gut möglich, dass Handwerker in 100 Jahren staunen werden, was sie hier noch alles lernen können.