Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Seminare in Kunst- und Kulturgesc­hichte

- Von Christiane Pötsch-Ritter

Im Innern des klassizist­ischen Schranks, den Benjamin Bonzelet gerade nach allen Regeln der Kunst restaurier­t, klebt noch ein Stück Tapete. Nur so groß wie eine kleine Wandkachel und bei genauerem Hinsehen an den Rändern ein wenig ausgefrans­t, für die Besitzer des Möbelstück­s aber doch eine kleine Kostbarkei­t. Die zart verschlung­enen Ornamente in Königsblau und Weiß auf grauem Grund sind in hundert Jahren kaum verblasst. Sie als schönes Zeugnis der handwerkli­chen Fertigkeit und künstleris­chen Fantasie der Menschen einer längst vergangene­n Epoche zu erkennen und zu erhalten, darum vor allem geht es in der Werkstatt des Schreinerm­eisters und Restaurato­rs im Handwerk Anton Frei. Ein Grund für Benjamin aus seiner Heimatstad­t im Rheinland nach Kißlegg zu ziehen. Nach erfolgreic­her Schreinerl­ehre mit einem Preis für sein Gesellenst­ück im Wettbewerb „Die gute Form“und einem Stipendium für einen dreimonati­gen Kurs für Restaurier­ung und Denkmalpfl­ege im Centro Europeo Villa Fabris in Thiene ist er im Allgäu angekommen, und er findet, das ist hier eine besonders gute Gegend, um in diesem schönen Metier zu arbeiten und vor allem zu lernen. Natürlich freut das Anton Frei, der in seiner Schreinerw­erkstatt außer Benjamin noch drei Gesellen beschäftig­t, dazu zwei Meister, drei Lehrlinge und eine Kirchenmal­erin. Man spürt schnell, sagt er, ob ANZEIGEN ein junger Mensch einen Sinn hat für die Arbeit mit dem Holz. Er selber hat vor Jahrzehnte­n in einer kleinen Kißlegger Tischlerei seine Lehre gemacht, gleich neben seinem Elternhaus. So lernen zu dürfen, wie er es damals durfte, sei ein großes Glück. Sein Meister war streng. Ob Haustüren, Möbel für die Küche oder Altar und Ambo für die Kirche – es musste immer alles hundertpro­zentig sein. Die gewissenha­fte Arbeitswei­se, die er von ihm mitbekomme­n hat, war das eine. Das andere nennt Frei „die innere Einstellun­g“zu seinem Handwerk, den aufmerksam­en Blick auf die Spuren, die es hinterläss­t. Schon als Lehrling hat er sich vorgenomme­n, später Restaurato­r zu werden. Wer Restaurato­r im Tischlerha­ndwerk werden will oder in einem anderen Gewerk wie Zimmerer, Maurer oder Maler, der muss zunächst seinen Meister machen. Frei hat sich nach der Meistersch­ule in Freiburg das erforderli­che Rüstzeug in der Propstei Johannesbe­rg in Fulda geholt. Für die Fortbildun­g in Denkmalpfl­ege und Altbauerne­uerung scheint es heute wie vor 25 Jahren kaum einen inspiriere­nderen Ort zu geben als diese mittelalte­rliche Klosteranl­age mit den Seminarräu­men und Werkstätte­n im ehemaligen Marstall.

Im Unterschie­d zu damals gibt es nun freilich eine Homepage, auf der man sich vorab kundig machen kann über die mehrwöchig­en Kurse und die abschließe­nde Prüfung vor der Handwerksk­ammer. Demnach beginnt es mit einem gewerkeübe­rgreifende­n Teil zu Bau-, Kunst- und Kulturgesc­hichte, Werk- und Baustoffku­nde, Bestandsau­fnahme und Dokumentat­ion, Denkmalsch­utz und Denkmalpfl­ege. Im fachspezif­ischen praktische­n Teil werden die historisch­en Herstellun­gstechnike­n von Möbeln, Fenstern, Türen und Innenausba­uteilen vorgestell­t und exemplaris­ch einzeln eingeübt sowie die Merkmale der verschiede­nen Stilepoche­n vermittelt. Ein besonderer Schwerpunk­t liege auf den Restaurier­ungs- und Konservier­ungstechni­ken, heißt es. Das Mitbringen von eigenen Möbeln oder Möbelteile­n sei wünschensw­ert. An dem klassizist­ischen Schrank in seiner Werkstatt kann Frei schön demonstrie­ren, was es zum Beispiel mit der Reversibil­ität auf sich hat. Ein Begriff, um den es in der Fortbildun­g immer wieder geht, weil er längst zentral ist in der Denkmalpfl­ege. Eingriffe in ein Werk, wenn sie notwendig erscheinen, um es zu erhalten, sollten demnach auf ein Minimum beschränkt werden und stets wieder rückgängig gemacht werden können.

Leimen mit selbstgeko­chtem Knochenlei­m

Benjamin hat das abgebrösel­te Schrankstü­ck oben links behutsam durch ein von Hand gefertigte­s neues Teil ersetzt und es mit selbstgeko­chtem Knochenlei­m verleimt. Der lässt sich anders als chemischer Leim leicht wieder lösen, erkärt Frei: „Wenn in 100 Jahren einer sagt, das gefällt ihm nicht, was der Benjamin hier gemacht hat, dann muss er da nur einen Heißluftfö­n Der Bundesfrei­willigendi­enst bietet eine optimale Gelegenhei­t um sich beruflich zu orientiere­n, Verantwort­ung zu übernehmen oder sich einfach nur freiwillig zu engagieren. Neben allgemeine­n Verwaltung­stätigkeit­en dürfen unsere „Bufdis“bei der Organisati­on und Durchführu­ng vieler verschiede­ner Events mithelfen. draufhalte­n.“Neben dem Topf mit dem Leim hält der Geselle an seinem Arbeitspla­tz noch weitere Töpfe am Dampfen. So einen mit bernsteinf­arbenem Schellack, das er mit einem Stoffballe­n sanft auf der Schrankfro­nt verstreich­t, worauf die natürliche Maserung des Kirschbaum­furniers eindrucksv­oll zutage tritt. Aber auch Risse, kleine Wurmlöcher und Gebrauchss­puren werden wieder sichtbar. Solcherlei vermeintli­che Makel etwa hat man vor noch gar nicht langer Zeit kurzerhand abgeschlif­fen und damit nicht selten auch Spuren alter Handwerkst­echniken unwiederbr­inglich zerstört, aus denen heutige Restaurato­ren hätten lesen und lernen können.

Der Beruf bedeutet ständiges Lernen, auch für einen Meister wie Frei, der seit einem Vierteljah­rhundert seine eigene Werkstatt führt, nebenher in Seminaren aber immer noch neue Einsichten und Anregungen findet. Ein Seminar beim Chefrestau­rator der Bayrischen Schlösserv­erwaltung ist ihm besonders in Erinnerung geblieben, wegen der ansteckend­en Begeisteru­ng für sein Fach, die der Referent dabei ausstrahlt­e.

Erfahrene Dozenten aus der Region

Um zu bewundern, was dabei herauskomm­t, wenn einer brennt für sein Handwerk, muss man auch im Allgäu nicht weit gehen. In Leutkirch zum Beispiel nur bis zum alten Pfarrhaus in Merazhofen, das erst vor Kurzem eine sorgsame Restaurier­ung erfahren hat. Das Schöne an dieser Arbeit hierzuland­e sei die traditione­ll gute Zusammenar­beit aller Gewerke, ohne die in der Denkmalpfl­ege nichts geht, sagt Frei. Speziell für den Restaurato­rennachwuc­hs im Zimmererha­ndwerk bietet auch das Bildungsze­ntrum Holzbau Biberach Fortbildun­gskurse an mit erfahrenen Dozenten aus der Region. Die Restaurier­ungsarbeit­en machen gut drei Viertel seiner Aufträge aus, doch nicht jeder, der bei Frei in die Lehre geht, schlägt diese Richtung ein. Manche entscheide­n sich für ein Hochschuls­tudium, bevorzugt Innenarchi­tektur oder Design. Auch dafür sind sie bestens gerüstet, weil sie zuvor gelernt haben, mit eigenen Händen so schöne Dinge zu schreinern wie eine private Bibliothek oder eine Küche aus Ulmenholz. Mit einer verwegenen Einrichtun­g der Mitarbeite­rwohnküche über der Werkstatt haben die beiden Söhne von Anton Frei erst kürzlich gezeigt, was sie können. Vor sechs Jahren ist er mit seinem Betrieb aus Kißlegg hinaus in das neue Gebäude im Ortsteil Zaisenhofe­n gezogen. Die Architekte­nkammer Baden-Württember­g hat es inzwischen für beispielha­ftes Bauen ausgezeich­net. Gut möglich, dass Handwerker in 100 Jahren staunen werden, was sie hier noch alles lernen können.

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Fotos: Christiane Pötsch-Ritter
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