Schwäbische Zeitung (Tettnang)
65. Geburtstag
Dieter Bohlen polarisiert seit den 80erJahren
Berufsjugendlicher“: Wenn der Begriff nicht schon bereits durch Thomas Gottschalk belegt wäre, man hätte ihn wohl für Dieter Bohlen erfinden müssen. Und wenn er nur einmal verliehen würde, gäbe es wohl wenig Debatte, wer den fragwürdigen Titel mit nach Hause nehmen könnte: Der Musikproduzent aus Tötensen. Denn auch wenn die beiden deutschen Unterhaltungs-Institutionen beide vorm Älterwerden zurückschrecken, trauert Gottschalk eher seiner alten Rock’n’Roll-seeligen Jugend hinterher und trägt die Haare lang wie einst im Mai. Dieter Bohlen, der heute 65 Jahre wird, legt dagegen größten Wert darauf, zur jeweiligen „heutigen Jugend“anschlussfähig zu bleiben – mit Erfolg, denn für viele junge Zuschauer ist er kein Mann von vorgestern sondern weiterhin eine Autorität im Popgeschäft.
Berufsjugendlicher sein, das ist natürlich auch harte Arbeit: So wirkt Bohlens Gesicht zwar zunehmend maskenhaft, die Langzeitschäden exzessiven Sonnenbadens sind aber bemerkenswert wenig sichtbar. Und auch was die Haare angeht, gehört die lange Mähne schon seit gut 20 Jahren der Vergangenheit an. Vor allem tut Bohlen aber alles dafür, nicht nur die Sprache sondern auch die Kommunikationskanäle der heutigen Generation zu bedienen: Gerade erst vergangenen Monat erhielt er dafür die Auszeichnung „Goldener Blogger“, auf Instagram ist die Million an Followern in Reichweite.
Dass Dieter Bohlen mehr als 30 Jahre später eine bedeutende Größe sein würde, lag im Januar 1985 wohl für die meisten jenseits aller Vorstellungskraft – vermutlich inklusive ihm selbst. In diesem Monat knackte die Debüt-Single seines Disco-Duos Modern Talking die deutschen Top Ten und auch ein Großteil der hastig nachgeschobenen Folgesingles machte sich in den obersten Hitparaden-Regionen breit. Innerhalb seines Genres war Bohlen, der zuvor schon jahrelang wechselnd erfolgreich als Sänger und Komponist gearbeitet hatte, tatsächlich ein recht neuer oder zumindest markanter Sound gelungen. Prägendstes Kennzeichen: Die „Eunuchen“-Chöre, in denen die Refrains schrill wiederholt wurden. Was einmal funktioniert, funktioniert auch zehn weitere Male, mag sich Bohlen gedacht haben und strickte die meisten Modern Talking Nummern nach sehr ähnlichem Muster. Damit verkaufte die Gruppe alleine in Deutschland mehr als 5,7 Millionen Tonträger, die Single „Brother Louie“etwa wurde aber auch in Großbritannien und Frankreich zum Hit.
Einer der vielen Kritikpunkte am Bohlen-Sound trug dabei wohl mit zum Erfolg bei: Die im einfachsten, teils holprigen Englisch gehaltenen Texte. Tatsächlich muss man bis heute lange suchen, um einen Song des Komponisten zu finden, in dem sich nicht „heart“auf „apart“reimt. Dadurch verstand aber selbst der strikteste Ostblock-Funktionär schnell, dass es sich hier um definitiv unpolitisches Liedgut handelte – dass der Diplom-Kaufmann in jungen Jahren kurzzeitig Mitglied der Kommunistischen Partei gewesen war, merkte man ihm jedenfalls nicht an. Jedenfalls durften die Platten der Band auch in Polen, der damaligen Sowjetunion und im ehemaligen Jugoslawien verkauft werden, und Modern Talking genießt dort bis heute unverwüstlichen Kultstatus. Soweit zu den Wurzeln des Erfolgs, das Aushängeschild der Band war damals aber eigentlich Sänger Bernd Weidung, besser bekannt als Thomas Anders. Mit seiner goldenen „Nora“-Kette – ein Tribut an seine damalige Frau – dominierte er die Schlagzeilen, während Bohlen lieber in den Jogginganzug schlüpfte und wie am Fließband Songs produzierte.
Beleidigende Sprüche bei DSDS
Nach der Trennung von Modern Talking konzentrierte sich Bohlen auf sein eigenes Projekt Blue System, allmählich begannen die Hits aber auszubleiben. Doch wenig später startete der zweite Frühling des Komponisten, der bis heute anzuhalten scheint. Erst die zeitweise Wiederbelebung von Modern Talking, dann ab 2002 die Jurorentätigkeit in der RTL-Castingshow Deutschland sucht den Superstar (DSDS). Bohlen profilierte sich darin mit Sprüchen an und jenseits der Grenze der persönlichen Beleidigung. Seinen Ruf als Schandmaul zementierte er endgültig mit der Autobiographie „Nichts als die Wahrheit“, geschrieben mit Hilfe der „Bild“-Journalistin Katja Kessler. Auch wer den unverwüstlichen Dieter eher verachtete, amüsierte sich teils heimlich über die süffigen Geschichten.
Heute zeigt sich der Pop-Titan, wie ihn wohl sein Haussender RTL einst gewohnt großspurig getauft hatte, ein Stück weit altersmilde. Auch im Musikgeschäft fährt der zuletzt mit Popschlagern erfolgreiche Komponist sein Engagement ein Stück weit zurück. Rentnertätigkeiten werden aber in Zukunft eher nicht sein Ding sein – wovon man sich auf Instagram und anderen Plattformen überzeugen kann.