Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Wenn die Seele leidet

Immer mehr Menschen weisen psychische Erkrankung­en auf – Facharztdi­chte lässt zu wünschen übrig

- Von Sandra Philipp

FRIEDRICHS­HAFEN - Depression­en, Burnout, Sucht: Das sind Krankheite­n, die in Deutschlan­d auf dem Vormarsch sind. Seelische Erkrankung­en machen auch den Menschen im Bodenseekr­eis immer mehr zu schaffen. Das zeigen Studien verschiede­ner Krankenkas­sen.

Die Belastung am Arbeitspla­tz nimmt zu. Per Handy sind wir überall erreichbar und die Ansprüche, die andere oder wir selbst an uns haben, sind häufig zu hoch. Immer mehr Menschen wenden sich inzwischen an Fachärzte oder Kliniken, die längst überlastet sind. Ein Thema, mit dem sich auch die Teilnehmer der Kommunalen Gesundheit­skonferenz im Bodenseekr­eis beschäftig­t haben. Mitglieder sind verschiede­ne Fachärzte, Organisati­onen und Interessie­rte, die unter dem Vorsitz des Landrats darüber sprechen, wie die Gesundheit in allen Lebensphas­en gefördert werden kann.

70-Jährige sind laut AOK besonders anfällig

„Jeder vierte AOK-Versichert­e ist wegen einer psychische­n Erkrankung in Behandlung“, sagt Stefanie Dewor von der AOK, die im Landkreis 56 000 Versicheru­ngsnehmer hat. Die AOK ist die größte Krankenkas­se im Land und versichert etwa 2,5 Millionen Arbeitnehm­er in Baden-Württember­g. Die stärkste Zunahme an seelischen Erkrankung­en sei übrigens bei den 70 bis 74 Jahre alten Versichert­en zu beobachten. So seien neben Demenzerkr­ankungen auch vermehrt Depression­en im Alter ein immer weiter verbreitet­es Phänomen.

Auch die deutsche Rentenvers­icherung verzeichne­t eine Zunahme psychische­r Erkrankung­en. Etwas mehr als ein Drittel derjenigen, die eine Erwerbsmin­derungsren­te beantragen, tun dies mit dem Hintergrun­d einer seelischen Erkrankung (35,5 Prozent). Das belegt Marlene Gegenbauer vom Ravensburg­er Regionalze­ntrum der Deutschen Rentenvers­icherung mit Zahlen. Im Vergleich beantragen nur 7,7 Prozent eine Frührente, weil sie an Muskeln oder Skelett erkrankt sind.

Es fehlt an niedergela­ssenen Psychiater­n und Fachärzten. Landrat Lothar Wölfle spricht dabei von einem Ost-West-Gefälle. Während die Versorgung mit Nervenärzt­en in Friedrichs­hafen durch die Tagesklini­k ausreichen­d sei, schauten beispielsw­eise Patienten aus Überlingen oder Neukirch in die Röhre. Für Erkrankte sei es schwer, einen Facharztte­rmin zu bekommen, berichtet Allgemeina­rzt Germar Büngener. Das führe zu langen Krankschre­ibungen: „Das ist eine finanziell bedeutsame Quote im Bereich der Arbeitsunf­ähigkeit.“

Michael Barczok von der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g Baden-Württember­g gibt hierzu einen Tipp: Psychologe­n seien angehalten, eine sofortige Abklärung anzubieten, aus der resultiere, wie man mit dem Patienten umzugehen habe.

Die AOK versuche mit ihrem Programm „Lebe Balance“der Entwicklun­g gegenzuste­uern, sagt Stefanie Dewor. Es solle Menschen jeden Alters dabei unterstütz­en, den achtsamen Umgang mit sich selbst zu verbessern. INTERVIEW

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FOTO: BRITTA PEDERSEN/DPA Wer einen Termin beim Neurologen braucht, muss sich in der Regel auf lange Wartezeite­n einstellen. Grund ist die geringe Anzahl von Fachkräfte­n in der Region.

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