Schwäbische Zeitung (Tettnang)
„Wir sollten den Umgang miteinander ändern“
Dr. Jonas Hartleb betont die hohe Bedeutung von wertschätzendem Verhalten im Kampf gegen psychische Erkrankungen
FRIEDRICHSHAFEN (sap) - Dr. Jonas Hartleb ist leitender Werksarzt bei ZF und plädiert beim Thema psychische Erkrankungen für einen Sichtwechsel. Er regt an, zu hinterfragen, wie wir mit den Menschen um uns herum umgehen.
Dr. Hartleb, können Sie das Thema an Beobachtungen aus dem Alltag festmachen?
Tatsächlich lässt sich bei vielen Gelegenheiten beobachten, wie sich der zwischenmenschliche Umgang in der Gesellschaft ungünstig entwickelt hat: Kompromissloses Verhalten wird akzeptiert, wenn damit Ziele erreicht werden. Egoismus ist oft normal. Einfache Regeln des respektvollen Umgangs und der Höflichkeit werden zunehmend ignoriert. Und andere Werte, die für die Erhaltung psychischer Gesundheit wichtig sind, geraten in den Hintergrund.
Wie können wir unseren Umgang miteinander verbessern, um das Thema psychologische Diagnosen zu verhindern?
Es gibt leider kein Patentrezept, das uns sicher vor psychischen Erkrankungen schützt. Wir können aber die Wahrscheinlichkeit reduzieren, dass wir selbst, Familienmitglieder, Kollegen oder Mitarbeiter psychisch erkranken, indem wir unseren Umgang miteinander ändern.
Wie? Haben Sie eine Handlungsempfehlung?
An erster Stelle steht ein wertschätzendes Verhalten. Wir müssen die Menschen, mit denen wir interagieren, wieder als positiv wahrnehmen, akzeptieren und schätzen. Der Mensch sollte nicht nur als Mittel zum Zweck oder etwa sogar als Hindernis wahrgenommen werden.
Was können Arbeitgeber beitragen, um ihre Mitarbeiter vor seelischen Erkrankungen zu schützen?
Dazu gehört eine entsprechende Unternehmenskultur. Es ist sehr wichtig, dass sich die Mitarbeiter auch wertgeschätzt fühlen. Die Arbeitsaufgaben sollten möglichst den Prinzipien der Salutogenese entsprechen: verstehbar, handhabbar und bedeutsam. Auch ist ein gut ausgestatteter und eingebundener betriebsärztlicher Dienst zu empfehlen – am besten mit einem angeschlossenen Sozialdienst. Dann können Arbeitgeber den Erkrankten bereits bei beginnenden Problemen schnell, kompetent und unkompliziert helfen.