Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Freibeuter ohne Totenkopfflagge
Im Kampf gegen Produktpiraten soll der Schmähpreis Plagiarius Nachahmer bloßstellen
FRANKFURT - Chinesische Fälscher sind wieder einmal Spitze: Zumindest erhalten drei chinesische Produkte den Schmähpreis Plagiarius, einen Zwerg mit goldener Nase, der jedes Jahr auf der weltgrößten Konsumgütermesse Ambiente verliehen wird. In diesem Jahr wurde der erste Preis für ein technisches Produkt verliehen, ein Schrägsitzventil, das etwa in der Textil- oder in der Lebensmittelindustrie zum Einsatz kommt. Auf Platz zwei folgt ein Spielzeugbagger, auf dem dritten Platz schließlich ein gusseiserner Bräter. Diese Produkte sind als Fälschungen noch leicht erkennbar. Denn bei dem Bagger etwa sind Teile lose oder instabil, der vermeintliche gusseiserne Bräter ist aus billigem Aluminium, entsprechend leichter und kostet auch nur ein Zehntel des Originalpreises. „Der hat dann auch andere Kocheigenschaften als der Originalbräter“, sagt Christine Lacroix, Sprecherin der Aktion Plagiarius, die den Schmähpreis vergibt.
Doch nicht immer sind die Fälschungen leicht zu erkennen, und die Fälscher scheuen vor kaum einer Produktgruppe zurück. „Nicht mehr nur Konsumgüter und Luxusgüter werden nachgemacht“, erklärt Lacroix, „sondern immer mehr auch technisch komplexe Produkte.“Auch die Qualität sei zum Teil deutlich besser. Doch es gibt viele Plagiate, die hohe Risiken bergen für die Gesundheit oder deren Einsatz zu einem Produktionsausfall führen kann.
Nach der jüngsten Produktpiraterie-Studie des Branchenverbands VDMA fühlen sich 71 Prozent der deutschen Maschinen- und Anlagenbauer von den Piraten geschädigt. Der geschätzte Schaden beläuft sich in der wichtigen deutschen Industriebranche auf 7,3 Milliarden Euro pro Jahr. Dazu kommen Folgen, die mit Geld schwer zu fassen sind: Imageverlust, Verlust des Marktvorsprungs oder ungerechtfertigte Regressanforderungen. Ein rundes Drittel der betroffenen Unternehmen verzichtet auf rechtliche Schritte gegen die Fälscher, über mangelnde Unterstützung der Behörden im Ausland klagen sogar 85 Prozent. So bleiben Messen bevorzugter Ort, um Fälschern auf die Spur zu kommen.
Die Plagiate kommen nicht nur aus China oder Hongkong: Im Bereich Maschinen und Anlagenbau, so schätzt der VDMA, stammen zwar die meisten Fälschungen aus China. Deutschland aber liegt mit 19 Prozent als Herkunftsland für Plagiate auf Platz zwei hinter China, Italien folgt auf dem dritten Platz.
Der Markt für Fälschungen ist riesig: 2017 etwa wurden an den Außengrenzen der Europäischen Union 31 Millionen gefälschte Waren im Wert von 580 Millionen Euro beschlagnahmt. Weltweit betrage der Schaden, der durch Produkt- und Markenpiraterie verursacht wird, mindestens eine halbe Billion Euro, sagt Arndt Sinn, Direktor des Zentrums für Europäische und internationale Strafrechtsstudien an der Universität Osnabrück. Allein in Deutschland, so schätzt der Strafrechtsprofessor, könnten durch Produktpiraterie etwa 70- bis 80 000 Arbeitsplätze verloren gegangen sein. Produktpiraterie sei kein Bagatelldelikt, sagt Sinn. „Es geht um Markenrechtsverletzung, Design-Verletzungen, Reputationsschäden, das kann bis zu Gesundheitsschäden gehen – von wirtschaftlichen Schäden für Unternehmen durch Produktionsausfall ganz zu schweigen.“
Mit diesen Plagiaten würden enorme Gewinne generiert, die dann wieder in den legalen Wirtschaftskreislauf reinvestiert würden. „Das nennt man dann Geldwäsche. Und darüber werden dann wieder neue kriminelle Machenschaften finanziert“, erklärt Sinn. Auf den Messen wie der Ambiente kann aber der Zoll nur einschreiten, wenn die Originalhersteller gewerbliche Schutzrechte anmelden. Doch vieles läuft auch am Zoll vorbei. denn viele Fälschungen werden online versandt. Da komme der Staat mit seinen Kontrollen kaum hinterher, meint der Strafrechtsprofessor: Von den vielen kleinen Paketsendungen, die von Verbrauchern bestellt werden, würden allenfalls fünf Prozent kontrolliert.