Schwäbische Zeitung (Tettnang)
ZF greift wieder nach Wabco
Beide Unternehmen bestätigen Übernahmegespräche
FRIEDRICHSHAFEN (ank) - Der Automobilzulieferer ZF Friedrichshafen AG wagt eine erneute Übernahme des belgisch-amerikanischen Bremsenherstellers Wabco. Beide Unternehmen bestätigten „ergebnisoffene Gespräche“, betonten aber zugleich, dass es noch keinerlei Beschlüsse gebe.
Sollte ZF Wabco übernehmen, würde das Unternehmen aus Friedrichshafen künftig knapp 40 Milliarden Euro im Jahr umsetzen und damit den beiden größeren Konkurrenten Bosch und Continental deutlich näher kommen.
ZF versucht seit Jahren, einen Anbieter für Nutzfahrzeugbremsen zu übernehmen. 2016 scheiterte der Versuch, die schwedische Haldex zu übernehmen. Auch an Wabco hatte ZF schon einmal Interesse gezeigt. Unter dem neuen Vorstandschef Wolf-Henning Scheider könnte das Stiftungsunternehmen mehr Glück haben als damals.
FRIEDRICHSHAFEN/RAVENSBURG Ein gutes Jahr nach seinem Amtsantritt als Chef von ZF macht WolfHenning Scheider mit einem möglichen Milliardendeal Furore: Der Automobilzulieferer aus Friedrichshafen am Bodensee ist in neuerlichen Gesprächen über den Kauf des amerikanisch-belgischen Bremsenspezialisten Wabco. „Wir haben mit Wabco ergebnisoffene Gespräche geführt. Es gibt aber keinerlei Beschlüsse“, sagte ein ZF-Sprecher auf Nachfrage der „Schwäbischen Zeitung“.
Ähnlich klingt es auf Seiten des Zielobjekts: Im Zuge der jüngsten Marktgerüchte und der Kursgewinne der Wabco-Aktie bestätige man vorbereitenden Gespräche mit ZF über einen möglichen Zusammenschluss. Ob eine Einigung erzielt werde, sei jedoch ungewiss.
Zweiter Anlauf
Wabco? Da war doch was. Rund zwei Jahre ist es her, als ein erster Übernahmeversuch Wabcos durch ZF scheiterte – und der dem damaligen Vorstandschef Stefan Sommer den Job kostete. Die beiden Konzerne hatten sich Anfang 2017 in fortgeschrittenen Verhandlungen befunden, bevor der Aufsichtsrat des Friedrichshafener Traditionsunternehmens die Pläne stoppte.
Sommer und der Friedrichshafener Oberbürgermeister Andreas Brand, der im Aufsichtsrat von ZF sitzt und den Haupteigentümer, die städtische Zeppelin-Stiftung, vertritt, hatten sich nach der milliardenschweren Übernahme des US-Konkurrenten TRW 2015 über die forsche
Expansionsstrategie zerstritten. Ende 2017 musste der Westfale nach verlorenem Machtkampf gehen.
ZF schaut seit Jahren mit großem Interesse auf den Bremsenbereich für Lkw. Denn während das Unternehmen aus Friedrichshafen Autobremsen in seinem Angebot hat, fehlt ZF diese Expertise bei Lastwagen. Noch vor Wabco scheiterte 2016 der Versuch, die schwedische Haldex zu übernehmen. Damals torpedierte der Münchener Bremsenbauer Knorr-Bremse die Pläne und überbot ZF mit seiner Offerte – auch wenn die strengen Kartellauflagen den Deal schlussendlich platzen ließen. Und selbst Knorr-Bremse stand dem Vernehmen nach bereits einmal auf der Einkaufliste der Friedrichshafener.
„Für ZF ist Wabco möglicherweise die letzte Chance, im Bremsenbereich Fuß zu fassen“, sagt Stefan Reindl, Leiter des Instituts für Automobilwirtschaft an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen, der den Deal, so er denn zustande käme, „von der industriellen Logik her sinnvoll“findet.
Wabco wurde 1869 als Westinghouse Air Brake Company von George Westinghouse gegründet, dem Erfinder der Druckluftbremse. Seit 2007 ist das Unternehmen an der New Yorker Börse notiert. ZF erzielt zwar einen rund zehnmal höheren Umsatz als Wabco (2018: umgerechnet 3,37 Milliarden Euro), doch sind die Amerikaner mit einer operativen Marge von 13,4 Prozent deutlich profitabler als der Stiftungskonzern (2017: 4,7 Prozent).
Acht Milliarden Euro?
Das allein würde den kolportierten Kaufpreis von acht Milliarden Euro allerdings nicht erklären. Sinn macht eine solche Summe nur vor dem Hintergrund der strategischen Überlegungen bei ZF. Denn Bremsen passen nicht nur direkt zu Getriebe und Fahrwerk – dem Kerngeschäft von ZF. Sie sind mit ihrer Sensorik auch wichtiger Informationsgeber für Assistenzsysteme und damit die Vorstufe zum autonomen Fahren der Zukunft – auf das ZF baut und das bei Lastwagen nach Einschätzung von Branchenexperten noch früher kommen könnte als bei Autos.
Bei elektrischen Fahrzeugen hätte ZF mit Wabco dann samt Motor und Bremsen sogar den kompletten Antriebsstrang im Portfolio, könnte sich als großer Systemlieferant gegenüber den Automobilherstellern präsentieren und würde einen Großteil der Wertschöpfungskette bei sich bündeln.
Ein gemeinsamer Konzern käme auf ein Umsatzvolumen von rund 40 Milliarden Euro – und würde damit zu den beiden Branchenführern Continental (44 Milliarden Euro) und Bosch (47 Milliarden Euro) aufschließen.
Bessere Karten für Scheider
Oberbürgermeister Brand wollte sich auf Nachfrage der „Schwäbischen Zeitung“nicht zu den Spekulationen äußern.
Einer Offerte für den Bremsenhersteller dürfte Brand heute wohlwollender gegenüberstehen als 2017: Zum einen hat ZF seine hohe Verschuldung im Zuge der TRW-Übernahme inzwischen deutlich zurückgeführt. Im Unterschied zu damals ist die Verschuldung heute rund vier Milliarden Euro niedriger. Nach und nach hat der Konzern die Kredite zur Finanzierung des TRW-Kaufs zurückgezahlt, sodass ZF heute einen größeren finanziellen Spielraum hat. Auch die Integration von TRW ist gelungen, was das Vertrauen in das ZFManagement gestärkt haben dürfte.
Vor allem aber scheint der amtierende ZF-Chef Scheider ein besseres Verhältnis zu Oberbürgermeister Brand zu haben, der im Aufsichtsrat des Stiftungskonzerns einen großen Einfluss hat und der maßgebliche Entscheider für alle grundsätzlichen Weichenstellungen bei ZF ist. Der Betriebswirt weiß, wie mit Stiftungen umzugehen ist: Seine beiden vorherigen Arbeitgeber, Mahle und Bosch, sind ebenfalls im Besitz von Stiftungen. „Unsere Strategie für die nächsten Jahre hat der Aufsichtsrat jedenfalls in voller Breite mitgetragen“, sagte Schieder kürzlich im „Handelsblatt“.