Schwäbische Zeitung (Tettnang)
„Handwerk steht auf goldenem Boden“
Jugendliche informieren sich über ihre Berufschancen bei der 6. Lindauer Handwerksoffensive
LINDAU - Die Vielseitigkeit des Club Vaudeville als Ort für unterschiedlichste Veranstaltungen hat sich bei der 6. Lindauer Handwerksoffensive wieder einmal bestätigt, auch wenn er allmählich fast zu klein dafür ist. Handwerksbetriebe aus 26 unterschiedlichen Gewerken haben sich dieses Mal beteiligt und konnten sich nicht über fehlende Aufmerksamkeit beklagen.
Geduldig und hilfsbereit zeigt Yusuf Abdirahman einer Schülerin, wie man mit einer Kelle den Mörtel auf die Ziegelsteine streicht, damit das gleichmäßig wird und die nächste Schicht draufgesetzt werden kann. Das macht er gerne, denn er kennt die andere Seite noch genau: Vor einem Jahr stand er am selben Stand der Bauinnung bei der Handwerksoffensive, aber als Schüler, der sich hier über alle möglichen Berufe im Handwerksbereich informieren wollte. Und da hat ihm das Bauen am meisten zugesagt und daher kann er, der seit September die Ausbildung bei Franz Späth macht, schon etwas zeigen, was er gelernt hat. Er ist aber nicht der einzige Azubi, auch Späths Sohn steht hilfsbereit am anderen Ende der frisch gemauerten Ziegelreihe.
Yusuf macht die Arbeit Spaß, das wird auf den ersten Blick klar und mit einem heiteren Blick auf Späth gesteht er, dass er auch in seinem Betrieb sehr viel Freude habe. Auch an anderen Ständen stehen nicht nur die Chefs, sondern auch Gesellen oder Auszubildende, die den mehr als 550 Jugendlichen der achten und neunten Klassen aus Mittelschulen, Realschulen und einem Gymnasium mögliche handwerkliche Berufsperspektiven zeigen. Denn das Handwerk stehe auf goldenem Boden, so wird es immer wieder verdeutlicht.
Buchbinder sind Exoten
Kreishandwerksmeister Uli Kaiser freut sich besonders, dass dieses Mal auch ein Gymnasium die Einladung genutzt hat, wie er im Gespräch mit den Ehrengästen aus Politik und Wirtschaft, darunter Landrat Elmar Stegmann, Oberbürgermeister Gerhard Ecker, Eberhard Rotter, Markus Anselment von der IHK und Christiane Gisbertz, der neuen Verlagsleiterin der „Lindauer Zeitung“, erläutert. Der handwerkliche Nachwuchs rekrutiere sich zwar zum überwiegenden Teil aus Mittel- und Realschule, aber mittlerweile hätten acht bis zehn Prozent der Auszubildenden ein Abitur in der Tasche.
Kaiser liegt aber auch am Herzen, den potenziellen Handwerkern klar zu machen, dass der handwerkliche Lehrberuf keine Sackgasse sei, sondern es gute Möglichkeiten gäbe, nach einer Lehre auch zu studieren. Gerade bei den Zimmerleuten sei diese Weiterbildung ein Boom.
Mit seinen Gästen macht sich der Kreishandwerksmeister auf einen Rundgang, damit die sich ein Bild von den 26 Ständen machen können. Dabei werden die Favoriten nur kurz gestreift, also Gewerke wie Kfz-Mechatroniker, Maler, Frisör, Elektroberufe. Kaiser führt sie zu den Exoten wie Ofenbauer, da hat die Firma Kanetzki Esteban Strauch geschickt, um den Heranwachsenden den Ofenbau schmackhaft zu machen. Auf diese Weise kommen Jugendliche wie Ehrengäste einmal in den Genuss der Künstlergarderobe des Clubs, denn hier sind Ofenbauer und Buchbinder untergebracht. Buchbinderin Claudia Grosse kann sich da über mangelnde Beteiligung nicht beklagen, konzentriert falten ihre Gäste Papier. Allerdings scheint dieser Beruf nicht zu den ganz coolen zu gehören, denn als ein Mädchen später begeistert seiner Freundin vom Besuch bei der Buchbinderin erzählt, erntet sie nur ungläubige Blicke – und schämt sich fast. Ob das vor allem bei den Jungs, die sich bei der Schneiderin im Unternehmen Chance sehr geschickt anstellten, ähnlich verlief? Hoffentlich nicht. Aber wer von den Schülern weiß schon, was ein cooler Beruf ist. Dafür hat die Kreishandwerkskammer ja schließlich diese Offensive organisiert, damit ein jeder und eine jede einen Überblick bekommt und für sich eventuelle Favoriten sondiert, egal ob Buchbinder, Metzger, Bäcker oder Bootsbauer.
Da jeder Schüler einen Zettel für vier verschiedene Stände hatte, an denen er sich den Besuch auch abstempeln durfte, war ein reger Besuch so ziemlich aller Gewerke garantiert. Beim Bäcker lernten sie in der kurzen Zeit zwar nicht, wie man Brezeln richtig wirft, aber wie man einen Zopf flechten kann, einen aus Hefeteig, das konnten sie erlernen. Selbst ein bei Lehrstellenbörsen eher ungeliebter Stand wie der des Fleischers fand reges Interesse. „Da ist schon großes Interesse von wegen Tierwohl und so weiter,“erzählt der Lindenberger Metzger und hofft, dass da zumindest eine Generation heranwächst, die wieder mehr Wert auf Qualität legen wird, selbst wenn sie nicht dieses Handwerk zum Beruf machen.
Alle Berufe, die an der Handwerksoffensive teilgenommen haben, aufzuzählen, würde hier den Platz sprengen, einen exotischen Beruf suchten die knapp 600 Schüler vergebens. Der Stand des Bestatters blieb unbesetzt, der hat derzeit viel zu tun, er konnte keinen Mitarbeiter für den Club abstellen. So makaber es klingen mag, aber es wird derzeit zu viel gestorben.
Alle Hände voll haben auch die Maurer zu tun, damit das personell besser wird, hat sich unter anderem Yusuf für diesen Beruf entschieden. Schließlich werden Maurer immer und überall gesucht. Nun kann man gespannt sein, wer von den Besuchern nächstes Mal als Azubi an einem der Stände steht, um Schülern sein Handwerk zeigen und schmackhaft machen zu können.