Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Roboter-Gastronomie, mir graut vor dir!
Neulich meinte ein Ingenieur, der dieser Kolumne freundlich zugeneigt ist, es werde auch in der Gastwirtschaft so weit kommen wie in seiner Firma: Das Meiste verrichteten dort Roboter, die im Wesentlichen zugekaufte und vorgefertigte Teile verarbeiteten. „Ein Mensch in der Küche ist fast schon reine Nostalgie“, meinte der Maschinenbauer spöttisch und murmelte was von „autonomem Kochen“und selbstfahrenden Kellner-Robotern.
Das Schlimme an der nicht als Scherz misszuverstehenden Prognose: Sie könnte Wirklichkeit werden. Um zu dieser Überzeugung zu gelangen, braucht es nur einen genaueren Blick in die gegenwärtige Realität: Genauso wie beispielsweise Automobilhersteller jede Menge zugelieferte Fertigteile verarbeiten, stehen in Küchen oft nur noch Menschen, die eine Mahlzeit komplett aus Fertigprodukten zusammensetzen: die Soße natürlich aus der Tüte, das Schnitzel vorpaniert und vorfrittiert, die Maultaschen aus dem Plastikbeutel, der Salat vorgezupft und schutzatmosphärisch in feinste Folie eingeschweißt. Diesen ganzen Mist aufzureißen und auf den Teller zu klatschen – auf ein Kreideschild an der Tür den meist inhaltsleeren Begriff „regional“kritzeln – das kriegt ein Roboter genauso gut hin. Mit dem kleinen Unterschied, dass so ein Blechkasperl nicht auch noch behauptet, er habe die Industrieware selbst zubereitet. In modernen Fastfood-Filialen ist die Automatisierung mindestens so weit fortgeschritten – allerdings mit dem Umstand, dass der Gast gleich selbst Aufgaben übernimmt und der Zwischenschritt über einen Service-Roboter überflüssig ist: Die Bestellung erfolgt nicht von Mensch zu Mensch, sondern von Mensch zu Bildschirm, auf dem sich der Hungrige – ähnlich wie auf einem übergroßen Smartphone – die Mahlzeit zusammenstellt. Hinter den Kulissen montieren dann immerhin noch Menschen das Essen nach einem starren System zusammen.
Diese und andere Formen der Automatisierung hat nur zum Teil den Vorzug, wenigstens billig zu sein. Denn oft genug verlangen Gastwirtschaften mit überwiegend industriell vorproduzierter Ware den gleichen Preis wie die redlichen Kollegen, die ihre Küche nicht nur zum Aufwärmen, sondern zum Kochen benutzen.
Um noch mal das Bild der Autoindustrie zu bemühen: Gute Gastronomie ist ein bisschen so, wie einen Porsche komplett selber zu bauen. Das ist anstrengender, es verlangt mehr Können und ist am Ende natürlich auch teurer. Und darin liegt auch gleich der nächste Hund hinter der Küchentüre begraben: Gute und echte Handwerksküche können und wollen sich viele Leute nicht mehr leisten, weil sie gewissermaßen zum Luxus wird. Ein Luxus, den dann der Durchschnittsesser zwar durchaus ersehnt – wie es Passanten tun, wenn sie bei einer Oldtimer-Parade voller Bewunderung Fotos schießen. Aber gefahren werden die edlen Karossen nur von Leuten, die sich das leisten können. Darin sind sich alte Autos und alte Wirtshäuser sehr ähnlich: Beide haben Seele. Die daher rührt, dass noch echte Menschen den Kotflügel des VW-Käfer aus den frühen 1960er-Jahren von Hand angeschraubt haben. Genauso wie ein guter Koch, der mit der Fingerprobe den idealen Garpunkt seines Zwiebelrostbratens erspürt, noch eine enge Beziehung zu dem hat, was er später serviert.
Ein Roboter mag uns in Zukunft satt machen und bedienen können. Aber unseren Hunger nach dem Guten und Echten wird er niemals zu stillen in der Lage sein.
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