Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Berlin plant künftig alle Autobahnen
Nur noch eine Behörde soll sich um Fernstraßen kümmern – ein riskantes Vorhaben
RAVENSBURG (sz) - Ab 2021 will der Bund die Autobahnen in Deutschland nicht mehr nur bezahlen, sondern über eine Bundesbehörde auch planen, bauen und verwalten. Bisher erledigen diese Aufgabe die Länder im Auftrag des Bundes. Für die Einrichtung der „Autobahn GmbH des Bundes“wurde 2017 sogar das Grundgesetz geändert. Die zentrale Behörde soll Bau und Verwaltung der Autobahnen effizienter machen. Doch Kritiker warnen vor Nachteilen – vor allem für die süddeutschen Bundesländer.
RAVENSBURG - Es ist ein Mammutprojekt: Ab 2021 will der Bund seine Autobahnen nicht nur bezahlen, sondern auch selbst planen, bauen und verwalten – alles aus einer Hand. Bislang haben das die Länder im Auftrag des Bundes getan. Nun baut Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) die Autobahngesellschaft des Bundes auf, mit dann 15 000 Mitarbeitern soll sie bald die größte Bundesbehörde überhaupt sein. Befürworter versprechen mehr Effizienz und weniger Staus. Kritiker warnen: Das Projekt könnte aus dem Ruder laufen.
Auch wenn der Begriff „Bundesautobahn“etwas anderes nahelegt: Bislang haben die Länder einen großen Einfluss darauf, ob und wann ein Streckenabschnitt ausgebaut wird oder eine neue Teerdecke bekommt. Das führt bisweilen zu ärgerlichen Situationen. Steffen Bilger, CDUBundestagsabgeordneter aus Ludwigsburg und Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, sagt: „Wir hatten zu viele Beispiele wie an der A 3. Da hatte Bayern einen Ausbau auf sechs Spuren geplant und hinter der Landesgrenze in Baden-Württemberg hat sich dann die Autobahn auf vier Spuren verengt.“Künftig soll die Autobahn GmbH eine Planung aus einem Guss sicherstellen. Ein weiteres Plus: Werden gleichartige Aufgaben gebündelt, können Bauvorhaben beschleunigt werden, die Dauer der Baustellen und damit der Staus wird kürzer. „Es gibt Chancen zur Beschleunigung“, resümiert Bilger, schränkt aber ein: „Das hängt vom Geld und Personal ab.“
Personal will nicht wechseln
Und das ist auch der Haken. Hinter vorgehaltener Hand sind Fachpolitiker parteiübergreifend gar nicht glücklich über den Fortgang der Dinge. Nicht nur, dass durch den Ausfall der Pkw-Maut weniger Geld zur Verfügung steht als erhofft. Ein Knackpunkt ist das Personal. Allein Bayern soll 2300, BadenWürttemberg 800 Landesbedienstete an die Autobahn
GmbH abgeben – Bauplaner, Juristen, Verwaltungsangestellte, Autobahnmeisterei-Mitarbeiter. „Das läuft überhaupt nicht“, sagt ein süddeutscher Verkehrspolitiker, der nicht namentlich genannt werden will. Nur wenige Landesbedienstete sind wechselwillig. In den Verhandlungen über einen Haustarif holte sich die Autobahn GmbH für zwei Millionen Euro Hilfe von der Unternehmensberatung Roland Berger. Trotzdem war der Manteltarifvertrag erst Mitte Juli 2019 unter Dach und Fach, statt wie ursprünglich geplant Ende 2018. Eine „attraktive Entgelttabelle (...), die in allen Bereichen über dem Niveau der Länder liegt“, so die Meldung der Autobahn GmbH nach dem Tarifabschluss, soll den Landesbediensteten einen Wechsel schmackhaft machen. Weil das wohl nicht reicht, rechnen die Länder damit, dass sie der Autobahngesellschaft für deren Aufgaben Mitarbeiter zur Verfügung stellen müssen, die aber Bedienstete des Landes bleiben. Bezahlen muss dafür der Bund.
Eine wohl noch größere Herausforderung für die künftige Zentralbehörde ist der föderalistische Wildwuchs im IT-Bereich. 1400 Computersysteme sind derzeit bei den verschiedenen deutschen Straßenbauverwaltungen im Einsatz – für Abrechnungen, Kostenkontrolle, Baustoffmanagement, Personal. Diese IT-Systeme sollen zunächst beibehalten werden: Eine Transformation zum 1. Januar 2021 sei „nicht sinnvoll und nicht gewollt“, teilt Harald Franzen mit, der Sprecher der Autobahn GmbH. Die Umstellung der IT werde „in angepasstem und angemessenem Tempo erfolgen“, heißt es eher vage in einem Schreiben aus dem baden-württembergischen Verkehrsministerium an die Regierungspräsidien im Land.
Die unterschiedlichen Computerprogramme könnten noch ernste Probleme bereiten, fürchtet die Opposition. „Bei Minister Scheuer setzt sich als neues Credo der Verkehrspolitik ,Alles kommt später und wird teurer‘ durch“, lästert Stephan Kühn, Verkehrsexperte der Grünen im Bundestag. „Bei einem der wichtigsten Projekte Scheuers in dieser Legislaturperiode ist mächtig Sand im Getriebe – und das, noch bevor es richtig losgeht.
Negativbeispiel Wasserstraßen
Alexander Eisenkopf, Professor für Wirtschafts- und Verkehrspolitik an der Zeppelin-Universität (ZU) Friedrichshafen, erinnert sich an eine andere große Verkehrsreform, die der Bund vor einigen Jahren angestoßen hat: Bei der Neuordnung der Wasserstraßenverwaltung setzte der damalige Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) ebenfalls auf Zentralismus, um mehr Effizienz zu erzielen. „Die Reform ist krachend gescheitert, die Organisation hat sich nur noch mit sich selbst beschäftigt und war nicht arbeitsfähig“, berichtet Eisenkopf. „Es ist nicht auszuschließen, dass sich das wiederholt.“
Unter dem Strich ist der ZU-Professor trotzdem für die Reform. Schließlich führe die derzeitige Situation zu Reibungsverlusten, weil Bund und Länder keineswegs immer an einem Strang ziehen würden. „So weiterwurschteln wie bisher hat auch keinen Sinn“, sagt Eisenkopf. Selbst dann, wenn in der Autobahn GmbH zunächst einmal nicht alles rundlaufe. „Wichtig ist, dass die Behörde auch lokal einsatzfähig ist, vom Grünschnitt bis zur Reaktion auf Blow-ups.“
Auch für Verkehrsstaatssekretär Bilger, der von einer „schwierigen Reform“spricht, wäre das schon mal ein Erfolg: „Wenn alles gut läuft, bekommt keiner was mit.“