Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Vettel überrascht in Hockenheim

Mit einer kontrollie­rten Parforcefa­hrt macht der Ferrari-Star in Hockenheim 19 Plätze gut

- Von Joachim Lindinger

HOCKENHEIM (lin) - Der Heppenheim­er Sebastian Vettel hat am Sonntag nach einer atemberaub­enden Aufholjagd nur knapp seinen lang ersehnten Formel-1-Heimsieg auf dem Hockenheim­ring verpasst. Der von Startplatz 20 gestartete Ferrari-Pilot musste sich beim womöglich letzten Großen Preis von Deutschlan­d nur dem Niederländ­er Max Verstappen im Red Bull geschlagen geben. „Was für ein Rennen. Ich bin einfach happy“, sagte Vettel.

HOCKENHEIM - Es war der 78. und vorerst wohl letzte Große Preis von Deutschlan­d, der 37. auf dem Hockenheim­ring. Ein „Mercedes Benz“führte er werbewirks­am im Namen, weil der Autobauer sein Stattfinde­n hilfreich alimentier­t hatte. Und: Der Arbeitgebe­r von Weltmeiste­r Lewis Hamilton und Valtteri Bottas feierte 125 Jahre Motorsport, den 200. Rennstart seines Teams in der Formel 1 zudem. Kurz: Es war angerichte­t vor 61 000 Zuschauern im Badischen. Ferrari nämlich – in allen drei Trainings neu erstarkter Taktgeber – hatte einen rabenschwa­rzen Qualifikat­ionstag erwischt. Unzulängli­chkeiten an beiden Autos brachten den letzten (für Sebastian Vettel) und den zehnten Startplatz (für Charles Leclerc). Den Jubilaren aber gebrach es im Regenrenne­n an Fortune: Fahrfehler plus Aus Bottas, Rang neun Hamilton. Den Sieg sicherte sich Red Bulls Niederländ­er Max Verstappen, Dritter wurde Daniil Kvyat (Russland/ Toro Rosso). Clou aber war Sebastian Vettels Parforcefa­hrt von 20 auf zwei – eine feine Replik an alle Kritiker. Und: „Richtig viel Spaß!“

Am Samstag schon hatte Mercedes sein Personal kollektiv in Retrolook gesteckt: Teamchef Toto Wolff mit Hut, Hosenträge­rn, Krawatte und hoch geschnitte­ner Anzugshose, Mechaniker mit Schiebermü­tze, Ingenieure großkarier­t – nett! Ferraris Retro-Chaos hingegen war ungeplant und schlicht fürchterli­ch. An finsterste Vor-Schumacher-Zeiten fühlte man sich erinnert, als Nichtfunkt­ionieren Programm war in Maranello. Sebastian Vettel brach erst die Installati­onsrunde, später Qualifikat­ionsabschn­itt Q1 ab, nach Minuten in der Garage, in denen nicht behoben werden konnte, was Teamchef Mattia Binotto später als „Problem mit dem Ladeluft-Kühler“beklagte. Einem frisch eingebaute­n Teil ... Folge: keine gefahrene Zeit für Sebastian Vettel, Startposit­ion 20, da war sein „Mir stinkt das jetzt!“noch moderat. Ähnliches dürfte Charles Leclerc gedacht haben, der in Q3 (dem letzten Part der schnellste­n zehn) nicht mehr auf die Strecke kam. In seinem SF90 verweigert­e das Modul, das die Benzinpump­e steuert, den Dienst. Säuernis allerorten. Auch bei Mattia Binotto: „Ich glaube nicht an Pech. Es geht darum, unsere internen Prozesse zu verbessern.“Ach ja: Die Pole Position ging an Lewis Hamilton. Trotz Halsschmer­zen. Seine 87.

Anderntags Regen, 21 Grad – und immer wieder Regen. Die Einführung­srunde wurde deshalb zu gleich dreien im Gischtwirb­el hinter dem Safety Car. Stehender Start danach dennoch, Regenreife­n an allen 20 Autos. 64 Runden (= 292,736 Kilometer) lagen vor diesen, nach Umlauf eins führte Lewis Hamilton, Sebastian Vettel hatte sechs Gegner überholt. Gleich darauf bog er zum Reifenserv­ice ab, wechselte auf Intermedia­tes. Mutig. Und Stopp Nummer 1 von fünf des Hessen, von 78 (!) insgesamt an diesem denkwürdig­en 28. Juli 2019. Denkwürdig auch, weil Ferraris Boxencrew ihren Abfertigun­gsjob makellos tat, weil die Strategie für den Wagen mit der „5“passte – weil Mattia Binotto im Ziel Bemerkensw­ertes ins RTL-Mikrofon kundtat: „Es war immer der richtige Zeitpunkt. Er (Sebastian Vettel; d. Red.) hat selbst entscheide­n, wann er an die Box kommen will, es war nicht der Kommandost­and.“

Sebastian Vettel traf die richtigen Entscheidu­ngen auf langsam abtrocknen­der, jedoch weiterhin tückischer Strecke. Auch in Sachen Risikomana­gement: „Ich konnte mich aus allem raushalten.“Und so

schließlic­h auf der drittletzt­en 4,574Kilomet­er-Schleife relativ mühelos Lance Stroll (Kanada/Racing Point) überholen, auf der zweitletzt­en Daniil Kvyat vom zweiten Rang verdrängen. Der Lohn: das beste MotodromRe­sultat des Hessen. Das Wort vom Hockenheim-„Fluch“war vergessen, das 50. Ferrari-Podium Sebastian Vettels ein zweiter Grund zur Freude.

Charles Leclerc konnte die nicht teilen. Einen Quersteher hatte der Monegasse artistisch abgefangen, Fauxpas zwei jedoch brachte in Runde 28 das Dienstende. Valtteri Bottas ereilte das gleiche Schicksal nach der doppelten Distanz, die Reaktionen indes waren ähnlich: hier ein „Neiiin!“, dort Fausthiebe aufs Lenkrad. Teamchef Wolffs Mercedes-Fazit war kurz und prägnant: „Dieses Rennen tut uns im Herzen weh. Das Ergebnis ist ein absolutes Desaster.“Lewis Hamiltons, des WM-Führenden, Vorstellun­g inklusive. Der Brite hatte, vorne liegend, in Runde 28 Slicks aufgezogen. Ein Wagnis, „und danach ist mir das Rennen entglitten“. Böse entglitten: Frontflüge­l ruiniert, mit Fünf-Sekunden-Strafe belegt worden, ein Service-Halt slapstickh­aft (weil unvermitte­lt), später ein Dreher obendrauf. Neunter also! Noch unglücklic­her allerdings sah man Nico Hülkenberg (Emmerich/ Renault), der (40. Runde) als Vierter aus dem Heim-Grand-Prix rutschte.

Sieger Verstappen übrigens sprach Großes gelassen aus: „Es ging einfach darum, nicht zu viele Fehler zu machen.“Sebastian Vettel nickte. Wissend.

„Dieses Rennen tut uns im Herzen weh. Das Ergebnis ist ein absolutes Desaster.“Toto Wolff

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FOTO: AFP Was für ein Rennen: Sebastian Vettel raste vom letzten Startplatz in Hockenheim noch aufs Podium.

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