Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Endlich in Paris!
Emanuel Buchmann ist der neue deutsche Radstar – Warum er Vergleiche mit Jan Ullrich überhaupt nicht mag
Nach einer starken Tour de France und mehr als 3400 Kilometern hat sich Emanuel Buchmann (3. v. li., Foto: AFP) am Sonntagabend feiern lassen können. Der Ravensburger fuhr als Vierter das beste deutsche Resultat seit 13 Jahren ein. Das weckt Hoffnungen.
RAVENSBURG - Wer mit Boris Becker und Steffi Graf aufgewachsen ist, erinnert sich an ganze Nachmittage vor dem Fernseher. Die ganze Familie zitterte mit, auch mal mehrere Stunden lang. Ähnlich war es dann auch mit Jan Ullrich. Nach Jahren des darbenden Radsports in Deutschland ist in Emanuel Buchmann einer nach oben gekommen, dem ein Erfolg bei einer großen Rundfahrt zugetraut wird. Bei der diesjährigen Tour wurde er überraschend Vierter – die beste deutsche Platzierung seit 13 Jahren. Aber die ganz große Euphorie entfacht der Ravensburger nicht. Das will er auch nicht. Buchmann will eigentlich nur Radfahren.
Die Etappe am Freitag in den Alpen schauten in der ARD in der Spitze mehr als 2,5 Millionen Zuschauer. So viele wie seit mehr als einem Jahrzehnt nicht mehr. Nach den Spitzenzeiten, als die Deutschen mit Jan Ullrich mitfieberten, gab es tiefe Täler. Zahllose Dopingenthüllungen sorgten für viel Frust und wenig Lust auf TV-Übertragungen. Wie groß die Sehnsucht nach einem neuen deutschen Gesicht ist, zeigte sich bei jeder ARD-Übertragung. Buchmann war in aller Munde. Sein Trainer Dan Lorang lobt ihn: „Er gehört zu den besten Kletterern weltweit.“
Den Gelobten selber lässt das nach außen hin ziemlich kalt. Als er in den Pyrenäen das Tempo am Berg diktierte und kurz vor Schluss einen Antritt wagte, zeigte sich: Buchmann kann angriffslustig sein. Er kann mit den Großen wie Geraint Thomas und Thibaut Pinot mithalten. Hinterher sagte er in seiner typisch schnellen Art: „Ich habe mich ganz gut gefühlt.“Oft sieht es aus, als wolle Buchmann die Interviews möglichst schnell hinter sich bringen. Vor der Schlussetappe, der Genussfahrt nach Paris, ließ sich Buchmann aber doch eine kleine Kampfansage entlocken: „Ich denke, dass ich mit meiner Entwicklung noch nicht am Ende bin, habe mich jedes Jahr gesteigert. Meinem Selbstvertrauen hat diese Tour wahnsinnig gut getan.“
Nur drei Deutsche waren bei der Tour de France jemals besser als Buchmann. Doch er will nicht sein wie etwa Jan Ullrich. Aus mehreren Gründen. „Er hatte einen anderen Körperbau als ich, er war ein bisschen kräftiger“, sagte Buchmann während der Tour. „Man weiß, wie es bei ihm ausgegangen ist. Das wird bei mir nicht so enden.“Doping und Radsport gehörte jahrelang zusammen – siehe Jan Ullrich, Marco Pantani oder Lance Armstrong. Das will der Ravensburger ändern.
Schulreferat über Doping
Schon in der Schule setzte er sich mit diesem Thema auseinander. Als Jugendlicher hielt er ein Referat zum Thema Doping. „Er hat sich ganz früh mit diesem schwierigen Thema auseinandergesetzt“, sagt seine Mutter Ingeborg Buchmann. Im Englischunterricht hielt er einen Vortrag zur Tour de France – auf Englisch und im Trikot des KJC Ravensburg sowie mit seinem Rennrad. Zu Hause hatte er sich akribisch auf das Referat vorbereitet. „Dadurch habe ich natürlich auch viel mit- und aufgenommen“, sagt Ingeborg Buchmann. Sie wusste zwar, dass er als 13-Jähriger jeden Dienstag mit einem Schulfreund bei der KJC-Ausfahrt mitfuhr. Aber als ihr dann mitgeteilt wurde, dass Emanuel bereit für die ersten Rennen sei, „da war ich schon sehr überrascht“.
Handball und Fußball gab er für den Radsport auf. „Ich fand das ganz prima, weil ich dachte, so kann ich ihn prima über die wilden Jahre bringen“, sagt seine Mutter. Auffällig sei schon damals die große Disziplin gewesen, erinnert sich Ingeborg Buchmann. „Er hat konsequent an sich und seinem Weg gearbeitet.“So ließ er unter anderem auch mal Silvester Silvester sein, weil er sich auf ein Rennen vorbereiten musste. „Er hat keinen Alkohol getrunken und nicht geraucht“, meint Ingeborg Buchmann. Als Mutter fand sie das natürlich nicht besonders schade.
So ruhig wie in Interviews war er, der einen Ruhepuls von etwa 40 hat, früher im heimischen Umfeld nicht. Ein „ganz lustiger Junge“sei er laut seiner Mutter gewesen. „Nach außen war er aber immer schon eher der ruhigere Typ.“Aufmerksamkeit bekamen andere Rennfahrer. In der Jugend fuhr ihr Sohn, den alle nur Emu nennen, immer ein bisschen unter dem Radar. „Ihm haben die Siege gefehlt“, sagt sein Jugendtrainer Tobias Hübner vom KJC Ravensburg. Vor allem der Sprung in den Profibereich sei nicht leicht gewesen. Hübner half mit seinen Kontakten als Landestrainer und überlegte, „was wir machen können“. Im Rad-net-Rose-Team, quasi die U23-Nationalmannschaft, ging es weiter nach vorne. Bundestrainer Ralf Grabsch erkannte Buchmanns Talent und dann gab es die Kontakte zu Bora-hansgrohe-Teamchef Ralph Denk. Bei der Tour de France 2017 wurde Buchmann 15., bei der Vuelta in Spanien im vergangenen Jahr Zwölfter – bei der Trofeo Andratx-Lloseta auf Mallorca zu Beginn dieser Saison gab es den ersten Sieg bei einem Eintagesrennen auf der Worldtour. Ein kontinuierlicher Aufstieg auf Raten. Mit immensem Trainingspensum: Pro Jahr fährt er rund 35 000 Kilometer und überwindet 600 000 Höhenmeter.
Lob von Dominik Nerz
Konsequent hat Buchmann einen Schritt nach dem anderen gemacht. Sich selbst hat er dabei – zumindest nach außen – nicht unter Druck gesetzt. „Ich möchte mich Jahr für Jahr verbessern“, lautete einer seiner Standardsätze. Druck von seinen Eltern? Fehlanzeige. Einzig das Abitur, das musste er machen.
Was zu große Erwartungen für Konsequenzen haben können, erlebte etwa Dominik Nerz. Dem Wangener wurde ebenfalls eine erfolgreiche Karriere prophezeit. Doch nach Stürzen, mentalen Problemen und Magersucht beendete Nerz 2016 mit nur 27 Jahren seine Karriere. „Wenn ich mir jetzt die Tour de France anschaue, werde ich natürlich extrem mit meiner Vergangenheit konfrontiert“, sagt Nerz. „Der Radsport war schließlich der größte Teil meines Lebens.“Mittlerweile arbeitet Nerz als Koch am Bodensee und macht demnächst mit seiner Mutter ein eigenes Restaurant auf. „In meinem neuen Umfeld gehe ich auf, dadurch kann ich den Radsport wieder einigermaßen gemütlich anschauen.“
Und mit seinem ehemaligen Teamkollegen Emanuel Buchmann mitfiebern. „Seine Entwicklung ging immer Stück für Stück nach oben“, lobt Nerz. Der Erfolg in Frankreich kam aber auch für Nerz „etwas überraschend“. Dass sich Buchmann seine ruhige Art beibehalten hat, dagegen nicht. „Laut habe ich Emu tatsächlich nie erlebt“, meint sein ehemaliger Zimmerkollege. „Wenn man mit ihm reden wollte, war er da. Aber ich war immer ganz froh, dass er keine Quasselstrippe ist.“Mit seinem jetzigen Teamkollegen Maximilian Schachmann unterhielt sich Buchmann während der diesjährigen Tour abends im Zimmer übrigens über die Altersvorsorge.
Trotz aller Ruhe und Bescheidenheit weiß der 26-Jährige aber, was er will. Seinen Teamchef bei Borahansgrohe, Ralph Denk, überraschte Buchmann mit groben Rechtskenntnissen. Seinen Vertrag beim deutschen Rennstall hat der Ravensburger selbst ausgehandelt – einen Manager hat er nicht. Über Zahlen wird im Profigeschäft der Radfahrer nicht gesprochen. Aber die Aussage von Denk („Man kennt ihn als ruhigen Zeitgenossen. Aber wenn die Tür zu ist, kann das ganz anders sein.“) deutet darauf hin, dass Buchmann mittlerweile auch finanziell zu den deutschen Topfahrern gehört.
Äußerlichkeiten sind dem Ravensburger aber unwichtig. Mit seiner Freundin Claudia Eder wohnt Buchmann in Lochau am Bodensee. „Ich freue mich jetzt auf ein paar freie Tage zu Hause.“Da wird er wohl endgültig realisieren, was er geschafft hat. „Das waren die besten drei Wochen meines Sportlerlebens.“Über weitere Erfolgswochen würden sich Fans nicht beschweren.