Schwäbische Zeitung (Tettnang)
So will die SPD bis Weihnachten aus der Identitätskrise kommen
Es haben sich kaum Genossen für den Parteivorsitz beworben – Wie es jetzt weitergeht und was das für die Bundesregierung bedeutet
BERLIN - Bei der SPD denken sie jetzt schon an die Adventszeit. Bis dahin wird es noch dauern, bis die Partei wieder einen „richtigen“Chef hat – oder ein Spitzenduo. Sicher ist heute nur, dass die Partei sich auf eine monatelange Suche nach einem Chef begeben hat. Wer kann das Loch stopfen, das Andrea Nahles Anfang Juni mit ihrem Rücktritt vom Parteivorsitz hinterlassen hat?
Die Bewerbungsfrist ist zur Hälfte rum, doch das Bewerberfeld bleibt übersichtlich: Einzelkandidaturen haben Hans Wallow und Björn Kamlah angekündigt, als Teams gehen Nina Scheer und Karl Lauterbach sowie Michael Roth und Christina Kampmann ins Rennen. Alle sechs dürften den meisten unbekannt sein. Am ehesten noch stehen Gesundheitsexperte Lauterbach und Europa-Staatsminister Roth in der Öffentlichkeit. Nicht wenige warten aber noch auf die ersten „richtigen“Kandidaten.
Dabei hat sich die erste Reihe der Sozialdemokraten fast geschlossen aus dem Rennen genommen: Vizekanzler Olaf Scholz hat abgesagt, weil er keine Zeit hat. Arbeitsminister Hubertus Heil hat abgewinkt und gleichzeitig angedeutet, einen Wunschkandidaten zu haben. Auch das kommissarische Führungstrio aus Malu Dreyer, Thorsten SchäferGümbel und Manuela Schwesig steht nicht zur Verfügung.
Die formellen Hürden sind hoch. Um bei der Mitgliederbefragung auf dem Stimmzettel zu erscheinen, brauchen Bewerber die Unterstützung von mindestens fünf Unterbezirken, einem Bezirk oder einem Landesverband. Bislang haben das nur Roth und Kampmann geschafft. Manche halten sich eine Kandidatur noch offen: Niedersachsens Ministerpräsident und SPD-Landeschef Stephan Weil lässt sich nicht in die Karten schauen.
Viele in der SPD könnten sich auch Franziska Giffey sehr gut als Teil eines Spitzen-Duos vorstellen. Die Familienministerin wartet derzeit allerdings die Prüfung ihrer Doktorarbeit ab. Solange der Verdacht im Raum steht, dass sie bei ihrer Doktorarbeit betrogen hat, wird nicht mit einer Kandidatur gerechnet. Spannend ist auch die Frage, mit wem sie gegebenenfalls kandidieren würde: Ein Duo mit Juso-Chef Kevin Kühnert erscheint schwierig, weil beide aus demselben Landesverband stammen. Ein Duo mit Stephan Weil ebenfalls, weil beide dem pragmatischen Parteiflügel zugerechnet werden.
In sechs Monaten zur neuen Parteispitze – so hat sich die SPD das vorgestellt. Noch bis 1. September können Bewerber und Bewerberteams ihre Kandidatur erklären. Zugelassen sind auch Einzelpersonen, im Parteivorstand wird aber eine Doppelspitze bevorzugt. Einzige Bedingung: Es muss mindestens eine Frau dabei sein.
Schatten über der GroKo
Nach Ende der Bewerbungsfrist folgt eine Reihe von Regionalkonferenzen, auf denen sich die Kandidaten den Genossen vorstellen. Die Befragung der Mitglieder findet zwischen 14. und 25. Oktober statt. Wer bis 16. September in die SPD eintritt, ist dabei stimmberechtigt. Das Abstimmungsergebnis soll schon am 26. Oktober veröffentlicht werden. Wenn aber kein Kandidat und kein Team mehr als die Hälfte der Stimmen erreicht, wird erneut abgestimmt. Was bei den Abstimmungen herauskommt, ist allerdings nicht rechtlich bindend. Am Ende bestimmt der Parteitag, wer der Partei künftig vorsteht, so sieht es das Parteienrecht vor. Es ist allerdings kaum vorstellbar, dass die Delegierten gegen das Votum der Mitglieder stimmen.
Schon vorher will die Partei festlegen, ob sie überhaupt in der Bundesregierung bleiben will. Wie der „Spiegel“berichtet, soll das am 19. August geschehen. „Das kann keine rein buchhalterische Bilanzierung werden“, warnte Parteivize Ralf Stegner. SPD und Union hatten sich auf eine Klausel im Koalitionsvertrag geeinigt, nach der zur Hälfte der Legislatur bewertet wird, ob die Regierung fortgeführt werden soll.
Kurz vor Weihnachten soll dann endlich klar sein, wie es weitergeht mit der SPD: Wer sie in die Zukunft führen soll, wofür sie eigentlich steht – und ob sie ihre Ziele noch in der Bundesregierung erreichen möchte.