Schwäbische Zeitung (Tettnang)
„Nicht alle Unternehmen werden überleben“
Investor und Holidaycheck-Gründer Jens Freiter über die Folgen der Digitalisierung für die Wirtschaft im Südwesten
RAVENSBURG - Baden-Württemberg sucht verzweifelt Unternehmensgründer, die den Geist des Silicon Valley auch im Land der Tüftler etablieren. Jens Freiter ist ein solcher Pionier, der wie wenige andere im Südwesten die besondere Aufbruchsstimmung lebt, die die digitale Revolution verheißt. Nach einem Studium an der Universität Konstanz gründete er vor 20 Jahren nach mehreren Fehlschlägen mit Studienfreunden das Unternehmen Holidaycheck, eine OnlineBewertungsplattform für Hotels, die es bis dahin nicht geben konnte, weil es das Internet nicht gab. Benjamin Wagener hat sich mit dem 49-jährigen gebürtigen Hamburger unterhalten – über schwäbischen Perfektionismus, digitale Start-ups und darüber, warum sich die Wirtschaft in Baden-Württemberg bewegen muss.
Seit der Gründung von Holidaycheck hat die Digitalisierung viele Branchen von Grund auf verändert. Wann waren die Bedingungen für digitale Start-ups besser – 1999 oder heute?
Damals war alles langsamer und gemächlicher. Heute gibt es einen globalen Wettbewerb um die besten Ideen. Alles, was global wirksam ist, wird tausendfach untersucht. Andererseits ist es gerade bei Softwareprodukten einfacher geworden, Programme zu schreiben, weil sich die Hilfsmittel verbessert haben. Zudem hat sich die Akzeptanz für digitale Produkte erhöht, was die Verbreitung vereinfacht. Tendenziell ist es heute einfacher als damals.
Wie steht die deutsche Digitalwirtschaft im Vergleich zur chinesischen und amerikanischen da?
Es gibt auf der einen Seite den Bereich, der sich direkt an den Endkunden richtet. Da gibt es eine Hand voll Großkonzerne, die durch ihre Größe so gut wie unangreifbar geworden sind. Man sollte heute nicht versuchen, ein zweites Facebook aufzubauen. Die Googles, Facebooks, Amazons, Apples und Microsofts werden immer mehr zu Monopolisten, in dem sie es perfektionieren, den Kunden immer neue digitale Dienste anzubieten.
Das klingt nicht sehr ermutigend.
Im Geschäftskundenbereich ist die deutsche Wirtschaft auf der anderen Seite aber gar nicht so schlecht aufgestellt. Die Unternehmen sind angesehen, haben weltweit gefragte Produkte, dort hat die Wirtschaft gute Chancen, den digitalen Wandel erfolgreich zu gestalten.
Die Wirtschaft im Süden hängt am Maschinenbau und der Automobilwirtschaft. Was müssen diese Branchen insbesondere tun, um nicht abgehängt zu werden?
Das Umfeld wird schwieriger, aber eigentlich sind die Unternehmen noch gut aufgestellt – sie sind also noch handlungsfähig. Sie müssen nun auf der einen Seite die existierenden Abläufe effizienter machen, sie müssen also durch den Einsatz von Digitaltechnologien und intelligenten Systemen dieselbe Menge an Produkten zu einem geringeren Preis herstellen. Und auf der anderen Seite müssen sie sich Märkte erschließen mit neuen digitalen Produkten.
Was heißt das konkret?
Ich kenne zum Beispiel einen Autozulieferer in Baden-Württemberg, der beliefert fünf große Autokonzerne. Das Unternehmen muss nun versuchen, mit neuen Produkten neue Kunden auf der ganzen Welt zu finden – und zwar auch außerhalb der Autobranche.
Im Endkundenbereich sind die amerikanischen Digitalkonzerne alle im Umfeld des Silicon Valley in Kalifornien groß geworden, wo sie sich mit ihrem Wissen gegenseitig befruchtet haben. Brauchen wir in Baden-Württemberg ein eigenes Silicon Valley für den Geschäftskundenbereich?
Davon bin ich fest überzeugt. Ich glaube, dass der Austausch zwischen Unternehmen immer noch zu wenig stattfindet. Es ist ganz klar: Im Umfeld von innovativen Unternehmen sind alle Unternehmen innovativer. Gerade mittelständische Firmen können von Start-ups sehr viel lernen, was die Agilität und die Kundenorientierung betrifft. Da muss man den Austausch noch mehr forcieren.
Bei der für den Erfolg so wichtigen Agilität geht es um Ausprobieren, es geht um Schnelligkeit und darum, auch einmal Produkte am Markt zu testen, die nicht zu einhundert Prozent ausgereift sind. Das passt aber nicht zum Leitgedanken der deutschen Industrie, die auf deutsche Ingenieurskunst, auf technisch hochausgereifte und bis ins letzte Detail geprüfte Spitzentechnologie setzt. Wie passt das zusammen?
Es muss einen Paradigmenwechsel in der deutschen Wirtschaft geben. Als Investor, der in Start-ups investiert, weiß ich, dass von zehn Start-ups vier pleitegehen werden. Von den restlichen sechs werden vier so vor sich hinkrebsen, sie werden nicht viel Gewinn machen, aber auch nicht untergehen. Und die restlichen beiden Start-ups müssen es dann rausreißen. Diese Herangehensweise müssen die Unternehmen verinnerlichen.
Das haben sie bislang nicht?
Wenn man heute im deutschen Mittelstand schaut, dann arbeiten die Unternehmen mit einem Start-up zusammen, investieren – und wenn das Start-up pleitegeht, sagen sie, „Mist, Experiment fehlgeschlagen“. Der Paradigmenwechsel müsste auf einen Portfolio-Ansatz abzielen, damit Unternehmen eine ganze Reihe von Ideen verfolgen – und dann schauen, wie weit sind die einzelnen Start-ups, was verfolge ich weiter. Wenn ich dann ein oder zwei Projekte als erfolgversprechend identifiziert habe, gehe in das normale Projektgeschäft, um ein neues Produkt zu entwickeln.
Der digitale Transformationsprozess verändert die deutsche Wirtschaft fundmental. Was bedeutet das für die Anzahl der Jobs?
Wenn wir uns jetzt nicht verändern, wenn sich die Unternehmen nicht verändern, müssen wir uns echte Sorgen machen. In der Autoindustrie wird es zwei Arten von Zulieferern geben. Auf der einen Seite werden Zulieferer stehen, die große Mengen für Kunden produzieren und bei denen der größte Teil des Produktion weitgehend automatisiert abläuft.
Und auf der anderen Seite?
Auf der anderen Seite werden Zulieferer sein, die einen sehr individualisierten, spezialisierten Service anbieten. In diesem Bereich entstehen neue Möglichkeiten, der globale Wettbewerb bietet da auch große Chancen. In der Sensortechnik sind baden-württembergische Zulieferer zum Beispiel weltweit führend – und Sensoren braucht man überall, in autonom fahrenden Autos, in Drohnen und in automatisierten Maschinen. Aber klar ist auch, dass es nicht alle Unternehmen überleben werden. Nein. Die Deutschen tun sich da viel schwerer – und das liegt an der Sozialisation: In den USA geht jeder davon aus, dass er, wenn er heute Tellerwäscher ist, übermorgen Millionär sein kann, wenn er nur hart genug arbeitet. Dieses Erfolgsstreben, Veränderungen als Chancen zu begreifen, gibt es in Deutschland nicht.
Was ist das entscheidende Kriterium für den Erfolg von Gründern: Charakter, ausreichend Geld, die richtigen Berater – oder kommt alles nur auf die Idee an?
Man muss vor allen Dingen mutig sein. Man muss genug Mut haben, erst einmal hinzufallen, um dann wieder aufzustehen und weiterzumachen. Ich persönlich kenne keinen Gründer, der mit seinem ersten Start-up durchgestartet ist. Es gibt in der Regel immer Rückschläge, Projekte funktionieren nicht, aber man macht weiter und lernt dazu. Durchhaltevermögen gehört einfach dazu, das Finanzielle ist da eher nachrangig. Denn heute ist relativ viel Geld auf dem Markt, und wer eine gute Idee hat, der findet jemanden, der die Idee finanziert.
Wer werden in Deutschland die Treiber des digitalen Umbruchs sein – kleine Start-ups, der Mittelstand oder Großkonzerne?
In meiner Arbeit vor allem mit mittelständischen Unternehmen habe ich die Erfahrung gemacht, dass sich vor allem Großkonzerne sehr schwer damit tun, den digitalen Wandel zu gestalten, weil sich die Entscheidungen durch die ganzen Instanzen durchfressen müssen. Das dauert alles relativ lange, die Konzerne bauen zwar große Digitalabteilungen auf, aber der gedankliche Wandel findet nicht statt. Beim Mittelstand sprechen die Leute, die Ideen haben, direkt mit dem Chef. Und wenn der Chef sagt, ich habe verstanden, dass das wichtig ist, dann geht das da in der Regel sehr viel schneller.
Was können Gründer von Ihrem Erfolg mit Holidaycheck vor 20 Jahren lernen?
Zuerst muss man wissen, dass Holidaycheck nicht mein erstes Projekt war. Es gab davor andere Projekte, die gescheitert sind. Ich habe nicht aufgegeben, weitere Dinge ausprobiert. Dann gibt es heutzutage so viele Unterstützungsangebote, die es damals nicht gab und die Gründer heute unbedingt in Anspruch nehmen sollten. Und am Ende des Tages muss man sagen, der relevante Faktor von Holidaycheck war das Timing: Wir sind an den Markt gegangen zu einem Zeitpunkt, als die Gesellschaft für das Produkt reif war. Das Internet wurde immer relevanter, die Menschen haben festgestellt, ich kann mich auch im Netz über Dinge informieren. Das hätte fünf Jahre früher nicht funktioniert – und fünf Jahre später wäre es zu spät gewesen. Ein bisschen Glück gehört schon auch dazu.