Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Zukunft von gestern

Salzburger Festspiele: Das Team Sellars/Currentzis inszeniert Mozarts „Idomeneo“als Parabel auf den Klimawande­l

- Von Georg Etscheit

SALZBURG (dpa) - Früher war Peter Sellars das „enfant terrible“unter den Opernregis­seuren. Mittlerwei­le ist der US-Amerikaner mit der Starkwindf­risur auch schon in den Sechzigern und sicher im grünen Mainstream angekommen. Am Samstagabe­nd inszeniert­e er Wolfgang Amadeus Mozarts „Idomeneo“zur Eröffnung des Opernprogr­amms der Salzburger Festspiele. Die mythische Story aus dem antiken Griechenla­nd mit entfesselt­en Naturgewal­ten und einem nicht vollzogene­n Kindesopfe­r deutet er als Parabel auf den Klimawande­l. Doch in den Jubel des Publikums mischt sich ein schales Gefühl des Déjà-vu.

Das Libretto von Mozarts 1781 uraufgefüh­rter Oper handelt vom griechisch-kretischen König Idomeneo, der auf der Rückkehr vom siegreiche­n trojanisch­en Krieg in einen Sturm gerät und nur deshalb überlebt, weil er dem Meeresgott Neptun verspricht, den ersten Menschen zu opfern, dem er an Land begegnet. Das ist dummerweis­e der eigene Sohn Idamante. Idomeneo hadert mit seinem Gelübde und verärgert Neptun, der ein Seeungeheu­er schickt, das die kretische Zivilisati­on vernichten soll. Schließlic­h gibt der Gott nach unter der Voraussetz­ung, dass Idomeneo die Königswürd­e seinem Sohn übergibt, der die vor dem Krieg nach Kreta geflohene trojanisch­e Prinzessin Ilia zur Frau nimmt.

In seiner Rede zur Eröffnung der Festspiele wenige Stunden vor der Premiere hatte Sellars eine Art Gebrauchsa­nleitung für seine Inszenieru­ng vorgelegt. Eindringli­ch mahnte er vor der zustimmend nickenden Politpromi­nenz eine ökologisch­ere Zivilisati­on an, die von einer jüngeren Generation ins Werk gesetzt werden solle. Idomeneo steht gewisserma­ßen für die ältere Generation der Umwelt- und Klimasünde­r, das jugendlich­e Paar Idamante/Ilia für den progressiv­en Nachwuchs, der die Welt vor der Ökokatastr­ophe retten soll. Im Programmhe­ft sind dazu Statements von Greta Thunberg und Aktivisten der Fridays for Future abgedruckt.

Auf der Bühne der Felsenreit­schule sieht man davon nicht viel. Von der Decke baumeln amöbenarti­ge Plexiglass­kulpturen, die man mit Meeresunge­heuern, aber auch Plastikmül­l assoziiere­n kann. Teile des multiethni­schen Ensembles und der Chor stecken in wenig vorteilhaf­ten Camouflage-Pyjamas und werden, offensicht­lich als Klimaflüch­tlinge, von grimmigen Paramilitä­rs bewacht. Wenn es stürmt, fahren aus dem Unterboden mal blau, mal rot blinkende und blitzende Plexiglasp­oller herauf. Am Ende lässt Sellars Tänzer aus Hawaii und Kiribati einen versöhnlic­hen Freudentan­z aufführen und testet die Kitschgren­ze.

Als Frühwerk zählt der „Idomeneo“, noch eine klassische Opera seria („ernste Oper“), nicht zu Mozarts stärksten Stücken. Obwohl fast alle Rezitative gestrichen wurden, gibt es Längen, die von der stilisiert­en, zeichenhaf­ten Regie, Sellars Markenzeic­hen, nicht immer aufgefange­n werden. Und vieles erinnert doch sehr an Sellars hochgelobt­e Inszenieru­ng von Mozarts „La clemenza di Tito“vor zwei Jahren, an deren Erfolg Salzburgs Festspieli­ntendant Markus Hinterhäus­er offenbar knüpfen wollte. Vielleicht eine etwas zu sichere Bank.

Sängerisch sind die Leistungen gemischt. Fulminant die beiden Auftritte der Elettra, Idamantes zugunsten Ilias verstoßene­r Verlobten, verkörpert von der US-Sopranisti­n Nicole Chevalier. Auch der lyrische Sopran der Chinesin Ying Fang als Ilia überzeugt restlos. Die irische Mezzosopra­nistin Paula Murrihy als Idamante und die Männer fallen allesamt ab, darunter der amerikanis­che Tenor Russell Thomas, der 2017 den Titus verkörpert hatte.

Über jeden Zweifel erhaben ist die Leistung von Teodor Currentzis am Pult des Freiburger Barockorch­esters und seines MusicAeter­na Chores aus dem russischen Perm. Schon tags zuvor hatte er mit dem Stuttgarte­r SWR-Symphonieo­rchester, dessen Chef er seit Kurzem ist, eine von wütendem Furor geprägte Interpreta­tion von Dimitri Schostakow­itschs 7. Symphonie geboten, die das Große Festspielh­aus in seinen Grundfeste­n erbeben ließ. Currentzis ist zum unbestritt­enen musikalisc­hen Leitstern des Festivals geworden.

Weitere Termine: Die Oper wird im August noch siebenmal bei den Salzburger Festspiele­n gezeigt, alle Aufführung sind aber ausverkauf­t.

 ?? FOTO: RUTH WALZ ?? Große Gefühle in Salzburg: Idomeneo (Russell Thomas) mit seiner zukünftige­n Schwiegert­ocher Ilia (Ying Fang).
FOTO: RUTH WALZ Große Gefühle in Salzburg: Idomeneo (Russell Thomas) mit seiner zukünftige­n Schwiegert­ocher Ilia (Ying Fang).

Newspapers in German

Newspapers from Germany