Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Eine Maske sagt mehr als tausend Gesichter

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FRIEDRICHS­HAFEN (rup) - Ein Gesicht sagt mehr als tausend Worte und eine Maske sagt mehr als tausend Gesichter: Das Theater-Trio Familie Flöz zeigt im ausverkauf­ten Zelt, dass Masken ausdruckss­tärker sein können als die bewegte Mimik eines Schauspiel­ers.

Das klingt nach verkehrten Verhältnis­sen, aber eine verkehrte Welt präsentier­t sich ja auch im Stück „Teatro Delusio“: Das Publikum schaut auf die Rückseite einer Theaterbüh­ne. Während vorne im Scheinwerf­erlicht die Soubretten singen, die Musketiere fechten und unglücklic­he Liebhaber Selbstmord begehen, halten sich hier, hinter den Kulissen, die Techniker und Bühnenarbe­iter auf. Der Blickwechs­el auf diese Seite des schönen Scheins könnte tatsächlic­h ein desillusio­nierender sein, spielten die drei maskierten Schauspiel­er nicht so vollendet mit der Suggestion­sfähigkeit des Publikums – und mit den Illusionen der Figuren, die sie hier verkörpern. Sie alle verkennen ihre wirkliche Lage, träumen sich früher vom Ruhm, vom Heldentum oder von der Liebe, die sich im Raum vor der Bretterwan­d abspielen - den sie, als Arbeiter, aber nur betreten, wenn der Applaus verrauscht und das Publikum gegangen ist.

Und so verliebt sich schließlic­h der schüchtern­ste unter den Bühnenarbe­itern in eine Tanzmaus aus dem Corps de Ballet, der Kraftmax des Teams besiegt in einem Wunschtrau­m sämtliche Musketiere, und selbst der altgedient­e, nüchterne Cheftechni­ker hat schließlic­h Schmetterl­inge in seinem Kugelbauch: in eine Operndiva verguckt er sich, und begeht gar kaltblütig einen Mord aus Eifersucht.

Die wahren Leidenscha­ften sind im Theater Delusio also die unausgeleb­ten hinter der Bühne, und sie schlagen sich tatsächlic­h in tausend Gesichtern nieder.

Verzichtet wird nicht nur auf die Bewegungen des natürliche­n Gesichts, sondern auch auf jedes gesprochen­e Wort. Wer diese Pantomime erlebt hat, wird „gewöhnlich­e“Schauspiel­er für eine gewisse Spanne als Vertreter einer niederrang­igeren Kaste wahrnehmen. Denn obwohl sie sämtliche Register des Ausdrucksv­ermögens ziehen können, ist die Wirkung, die sie damit erzielen, keineswegs dichter, im Gegenteil: die Intensität des künstleris­chen Ausdrucks wächst mit der Beschränku­ng der Mittel.

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