Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Keine Panik im Ernstfall
Auch in Friedrichshafen können Frauen an einem Präventionsprogramm gegen sexuelle Übergriffe teilnehmen
FRIEDRICHSHAFEN - Im Bodenseekreis steigt die Zahl der sexuellen Übergriffe. Das Polizeipräsidium Konstanz verzeichnete im letzten Jahr 632 Sexualstraftaten, im Jahr zuvor waren es noch 527. Davon entfielen 121 Straftaten auf den Bodenseekreis, 2017 waren es 116. Die Zahlen des Polizeipräsidiums Konstanz liegen im landesweiten Trend. Weil sich außerdem rund ein Drittel der angezeigten Straftaten in der Öffentlichkeit ereignen, will das Landesinnenministerium mit einem Präventionsprogramm jetzt Abhilfe schaffen.
„Es geht darum, das Selbstbewusstsein von Frauen zu stärken und es ihnen zu ermöglichen, in Gefahrensituationen kalkuliert zu handeln“, sagt Kriminalhauptkommissar Peter Köstlinger. Er organisiert das landesweite Präventionsprogramm „Sicher.unterwegs – Gewalt gegen Frauen im öffentlichen Raum“im Bodenseekreis.
Laut Landesinnenministerium weisen die steigenden Fallzahlen allerdings nicht darauf hin, dass die Gewalt gegen Frauen plötzlich zugenommen hat. Der Anstieg, der 2018 immerhin 25 Prozent betrug, resultiere vielmehr aus einer erhöhten Anzeigebereitschaft unter den Opfern und einem verschärften Sexualstrafrecht. Somit wird lediglich sichtbar, was in den Jahren zuvor noch durch das rechtliche und statistische Raster gefallen ist.
Köstlinger sieht diese Statistiken ohnehin kritisch: „Letztendlich haben diese Zahlen wenig Mehrwert. Entweder sie sind beruhigt, weil sie das Gefühl haben, ,hier passiert mir sowieso nichts’, oder sie haben Angst und denken, ,um Gottes Willen’ – hilfreich ist im Ernstfall beides nicht“, sagt er. Oft würden Kleinigkeiten, die rückblickend total logisch erscheinen, den Unterschied machen – aber um die unter Stress abrufen zu können, müsse man im Vorfeld darüber sprechen, erklärt der Kriminalhauptkommissar. Genau darauf zielt das Programm des Innenministeriums mit seinen drei Schwerpunkten ab: Erstens Prävention, zweitens Management einer gefährlichen Situation und drittens körperliche Selbstverteidigung.
Damit es nicht nur bei gut gemeinten Hinweisen bleibt, setzt Köstlinger auf das Training im nachgestellten Ernstfall. Die Frauen sollen so ein Bewusstsein dafür bekommen, ab wann sie sich im Zugriffsbereich eines potenziellen Täters befinden und welche Unterschiede Auftreten und Stimmlage machen können. Für den Schwerpunkt „körperliche Selbstverteidigung“will der Kriminalhauptkommissar mit ehrenamtlichen Kampfsportexperten zusammenarbeiten. „Es geht aber nicht darum, irgendwelche komplizierten Griffe oder Techniken zu lernen – daran erinnern sie sich im Ernstfall sowieso nicht“, sagt Köstlinger. Er will den Frauen vielmehr beibringen, wie sie mit einfachen Stößen, Tritten und Schlägen in der Situation so viel Schaden anrichten können, dass sich eine Fluchtmöglichkeit ergibt.
Bisher hat Köstlinger vor allem mit Vereinen, Schulen und Ausbildungsstätten zusammengearbeitet. Das Angebot des kostenlosen Vortrages werde sehr gut angenommen, sagt er. „Das Problem, das wir im Moment noch haben, ist: Wie können wir in der Breite auch die Frauen erreichen, die nicht in solchen Strukturen sind?“Für die Sommerferien hat Köstlinger deshalb eine Serie an Vorträgen geplant – an verschiedenen Wochentagen und zu unterschiedlichen Uhrzeiten, damit auch ein voller Terminkalender einer Teilnahme nicht im Weg steht.