Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Im Dauerkraul über den See
60 Athleten schwimmen von Friedrichshafen nach Romanshorn – unser Autor war dabei
FRIEDRICHSHAFEN - Noch ist es stockfinster an diesem Samstagmorgen gegen fünf Uhr in der Frühe. In gut einer Stunde starten beim Strandbad Friedrichshafen knapp 60 Männer und Frauen ihren tollkühnen Ausflug in die Schweiz. Bei der Bodensee-Openwater-Querung stehen elf Kilometer auf dem Programm, das Ziel ist Romanshorn.
In der Nacht ist ein Gewitter über den See gezogen. Noch regnet es. Doch Patrick Boche, der Vorsitzende des Vereins Bodensee Openwater, hat am Abend zuvor bei der Einweisung augenzwinkernd fest zugesagt: Zum Start ist das Wetter gut. Kein Regen, kein Donner, keine Blitze und eine fast spiegelglatte Wasseroberfläche. Er hatte nicht zu viel versprochen: die Bedingungen werden hervorragend.
Der Startschuss fällt. Wir kraulen los, nicht superschnell, denn diese Veranstaltung ist kein Wettbewerb im klassischen Sinn. Die Veranstalter zeichnen nicht die besten Schwimmer aus – wer ankommt, hat gewonnen. Die Schwimmer gehen in mehreren Gruppen mit einem Abstand von einer Minute ins Wasser. Patrick – wir kennen uns vom Einschwimmen – hat mich in die schnelle Gruppe gepackt. Okay, das ist ein Ansporn doch flott hinüber zu kommen in die Republik der Eidgenossen. Wir schwimmen hintereinander her, das spart Kraft – wie beim Windschattenfahren der Fahrradfahrer bei der Tour de France. Mal schwimmt einer vorne, dann der andere. Falls jemand Probleme haben sollte, dann warten die anderen – so läuft das jedenfalls bis Kilometer sechs. Dann fällt die Gruppe auseinander und jeder und jede schwimmt für sich.
Eskortiert werden die Schwimmer von rund 15 Booten der DLRG. Patrick Boche hat kurz vor dem Start allen eingebläut, eine in die Höhe gestreckte Faust bedeutet: „Ich will aussteigen, holt mich bitte an Bord eines der Boote.“Eine Hand mit ausgestreckten Fingern indes heißt: „Ich hab Durst oder Hunger, versorgt mich.“In der vorderen Gruppe jedenfalls klappt das ausgezeichnet. Nach etwa der Hälfte der Strecke – die Uhr zeigt eine Stunde und 21 Minuten – ein Stopp. Wir trinken. Und betrachten für einen Moment die Szenerie. Bombastisch! Die Sonne lacht vom Himmel und spiegelt sich glitzernd auf dem See. Am Horizont ist das einmalige Alpenpanorama zu bestaunen. Nach geschätzt zwei Minuten geht es weiter – und die Gruppe fällt auseinander.
Ich gerate zu weit nach links. Bin mittlerweile mutterseelenallein unterwegs. Plötzlich taucht zur Linken ein DLRG-Boot auf, ein Mann an Bord winkt. Ich halte an und bekomme den Hinweis: „Schwimm weiter nach rechts, immer auf das mehrstöckige, weiße Hochhaus zu.“Okay. Bald sind die orangefarbenen Positionsbojen zumindest zu erahnen: das Ziel ist nicht mehr weit. Nach zwei Stunden und 44 Minuten bin ich im Ziel – vier Schwimmer waren schneller. Ich hab das selbst gesteckte Ziel – eine Durchschnittszeit von einer Minute und 30 Sekunden auf 100 Meter – fast punktgenau eingehalten und bin ganz zufrieden mit mir.
Als erster ist Jörn von Grabe aus München im Ziel angekommen, nach zwei Stunden und 35 Minuten. Nach und nach trudeln die anderen Athleten ein. Die Ärztin Katja Wutkewicz aus Speyer ist nach drei Stunden und 44 Minuten in Romanshorn – und sie strahlt über das ganze Gesicht, erzählt von ihren Erlebnissen und sagt, dass sie am liebsten noch ein bisschen weiter geschwommen wäre. Im Ziel bekommen die Schwimmer Suppe, Kaffee, Kuchen, belegte Brötchen – und sofort ihre Urkunde. Als letzter Schwimmer erreicht der älteste aller Teilnehmer das Ziel: Jürgen MüllerWolff, Jahrgang 1945, ist fünf Stunden und 30 Minuten im Wasser. Zu diesem Zeitpunkt überschlagen sich die anderen Schwimmer bereits in den sozialen Netzwerken mit Würdigungen für das Bodenseeschwimmen: „genial“ist ein oft gebrauchtes Wort. Keine Frage: viele Schwimmer werden wohl zu Wiederholungstätern und kommen im nächsten Jahr bestimmt wieder zur Bodenseequerung.
Unser Gastautor Martin Tschepe (54) ist Redakteur der Stuttgarter Zeitung und Langstreckenschwimmer des SV Ludwigsburg. Er hat kürzlich ein Buch über Schwimmen geschrieben: „Im Element“. Mit seinen Projekten sammelt er Spenden für ein BehindertenSchwimmprojekt. Infos unter:
www.bahn9.de