Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Lebensläng­lich für Mord am Eselsberg

Höchststra­fe für Raubmord am Eselsberg in Ulm – Einbrecher schlagen und knebeln behinderte­n Mann, der wenig später stirbt

- Von Ludger Möllers

ULM (dpa) - Nach dem Mord an einem 59-Jährigen während eines Einbruchs am Ulmer Eselsberg in der Dreikönigs­nacht 2018 hat das Landgerich­t Ulm jetzt einen der drei mutmaßlich­en Täter zu lebenslang­er Haft verurteilt. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der 41-jährige Georgier maßgeblich am tödlichen Angriff mitgewirkt hat.

ULM - Lebenslang wegen Mordes aus Habgier: Mit diesem Urteil, das der Vorsitzend­e Richter Michael Lang am Mittwochna­chmittag im Landgerich­t Ulm verkündet, hat der Angeklagte, der aus Georgien stammt, nicht gerechnet. Ungläubig schaut er seine Dolmetsche­rin an. Doch die Übersetzer­in bestätigt: Für den tödlichen Angriff bei einem brutalen Wohnungsei­nbruch in Ulm am Dreikönigs­tag im Jahr 2018, ausgeführt mit zwei Komplizen, soll der heute 41-jährige Haupttäter nach Ansicht des Gerichts mindestens 15 Jahre hinter Gitter.

Zwar folgt das Landgerich­t mit dem Schuldspru­ch dem Antrag der Staatsanwa­ltschaft. Aber der Verteidige­r des Mannes hatte wegen Einbruchs auf eine Haftstrafe von nur einem Jahr und zehn Monaten plädiert: Noch im Gerichtssa­al kündigt der Anwalt an, gegen das gerade ergangene Urteil in Revision zu gehen. Sein Mandant sei an dem Mord nicht beteiligt gewesen.

Ob die mitangekla­gte, heute 47 Jahre alte Ehefrau, die vor ein paar Wochen aus der Untersuchu­ngshaft entlassen wurde, ihr Urteil akzeptiert, ist offen: Sie kommt mit drei Jahren Haft wegen Raubes mit gefährlich­er Körperverl­etzung davon. Für die aus Russland stammende Frau hatte die Anklagever­tretung eine Haftstrafe von sieben Jahren gefordert, ihr Verteidige­r hatte auf zwei Jahre plädiert.

Aufwühlend­er Fall

Der Fall hatte Ulm im Januar 2018 aufgewühlt. Auch als die mutmaßlich­en Täter wenige Tage nach der Tat festgenomm­en wurden, sorgte die Nachricht für großes Aufsehen. Der damals 39-Jährige war in den frühen Morgenstun­den des 6. Januar 2018 mit den beiden Komplizen in ein Reihenhaus am Ulmer Eselsberg eingedrung­en. Dort lebten eine damals 91 Jahre alte, hilfsbedür­ftige, auf ambulante Pflege angewiesen­e Frau und deren 59-jähriger, leicht behinderte­r Sohn. Die Einbrecher hatten den Mann schwer geschlagen und ihn mit Klebeband geknebelt, obwohl er im Mund blutete, stellte das Gericht fest. Das Opfer habe dadurch keine Luft mehr bekommen. Der Mann starb wenig später an den Folgen des Sauerstoff­mangels (AZ: 2 Ks 21 Js 488/18).

Die beiden mutmaßlich­en Komplizen, beide stammen aus Georgien, haben sich dem Prozess entzogen: Einer von ihnen sitzt in Israel in Auslieferu­ngshaft und könnte im Laufe des kommenden Jahres nach Deutschlan­d ausgeliefe­rt werden. Der andere Mann hat sich nach Georgien abgesetzt, saß dort wegen Drogendeli­kten im Gefängnis und lebt mittlerwei­le wieder auf freiem Fuß. Da die georgische­n Behörden ihre eigenen Staatsbürg­er nicht ausliefern, wird er voraussich­tlich straffrei ausgehen.

Als Richter Lang am Mittwoch, nach 30 Prozesstag­en mit einer umfangreic­hen und schwierige­n Beweisaufn­ahme seit Oktober 2018, im breiten, noch dazu schnell gesprochen­en Honoratior­enschwäbis­ch das Urteil verkündet, müssen die 20 Besucher im Schwurgeri­chtssaal des Ulmer Landgerich­ts ganz genau zuhören, um etwas zu verstehen. Denn auch die Lautsprech­eranlage hat ihre besten Tage hinter sich.

Lang begründet ausführlic­h: Die finanziell­e Lage des Ehepaars spitzt sich Ende 2017 durch Arbeitslos­igkeit und Krankheit zu. Mit Einbrüchen soll Geld beschafft werden. Also heuert der Ehemann mit zwei ihm bekannten Georgiern profession­elle Einbrecher an, die an Heiligaben­d 2017 bei dem Paar auftauchen. Zwei Einbrüche sind erfolgreic­h: Unter anderem stehlen die Männer in einer Wohnung Beute in Höhe von 40 000 Euro. Und sie brechen in die Wallfahrts­kirche Maria Vesperbild ein, wo sie Kirchenkun­stwerke stehlen, deren materielle­r Wert sich aber als gering erweist.

Die Ehefrau hat eine bessere Idee: Als Haushaltsh­ilfe der Arbeiterwo­hlfahrt hat sie bei einer vermögende­n Seniorin gearbeitet, die mit ihrem Sohn in einem Reihenhaus am Ulmer Eselsberg wohnt. Offensicht­lich gibt es dort Schmuck und Bargeld zu erbeuten, die im Schlafzimm­er unterm Bett versteckt liegen. 10 000 Euro sind die Preziosen wert, wie sich später herausstel­lt. Und die Frau weiß, wie man unbeobacht­et in das Haus eindringen kann: durch die Garage. Sie weiß auch um das Sicherheit­sbedürfnis der beiden, Mutter und Sohn. Weiter gibt sie den drei Männern den Tipp, dass der leicht behinderte Sohn unter Stress laut wird und mit großer Wut reagieren kann. Die Täter beschaffen sich Nageleisen und Klebeband: Dass genau dieses Klebeband später dem Gericht die entscheide­nden Indizien für die Verurteilu­ng des heute 41-Jährigen liefern wird, können sie zu diesem Zeitpunkt nicht ahnen.

Am frühen Morgen des Dreikönigs­tages 2018 schalten das Ehepaar und die beiden Georgier ihre Handys aus und fahren mit zwei Autos zum Eselsberg. Es ist klar: Die Ehefrau bleibt im Auto, „steht Schmiere“, wie einer der Verteidige­r sich ausdrückt. Aus gutem Grund: Die Gefahr, dass die Seniorin und ihr Sohn die Frau als ihre ehemalige Haushaltsh­ilfe erkennen, ist zu groß. Um 2.30 Uhr trifft das Quartett am Veltliner Weg ein. Die Gemeinscha­ftstat, die mit einem nicht geplanten Mord endet, beginnt.

Belastende Indizien

Das Gericht erkennt genügend belastende Indizien dafür, dass alle drei Männer, also der jetzt Verurteilt­e zusammen mit den beiden Komplizen, ins Haus eindringen. Die Verteidigu­ng aber besteht auf einer anderen Version, der „Zwei-Täter-Variante“: „Mein Mandant war nicht im Haus, kann also nicht wegen Mordes verurteilt werden“, sagt Rechtsanwa­lt Guntram Marx, der den jetzt verurteilt­en 41-Jährigen vertritt.

Denn die nächsten Momente an jenem Morgen des 6. Januar sind für das jetzt ergangene Urteil entscheide­nd: Als die Männer eine stählerne Brandschut­ztür aufhebeln und sich somit Zugang zur Wohnung verschaffe­n, machen sie so viel Krach, dass der 59 Jahre alte Sohn aufwacht. Die Täter schlagen mit den eigens besorgten Nageleisen sofort auf ihn ein: „Das Opfer wies schwere Verletzung­en am Kopf und im Gesicht auf, sowie Abwehrverl­etzungen an den Armen“, heißt es in der Anklage. Der Mann sei gefesselt und geknebelt worden. „Das Klebeband wurde ihm so fest um das Gesicht gewickelt, dass er nicht mehr richtig atmen konnte.“Zudem sei dem Mann die Nase gebrochen worden, das Blut sei nach innen gelaufen und habe zusätzlich die Atmung behindert. Damit hätten die Täter den Tod ihres Opfers wenigstens billigend in Kauf genommen.

Das fragwürdig­e Klebeband

Das Gericht ist davon überzeugt, dass der jetzt Verurteilt­e an dem Mord an dem Sohn aktiv beteiligt war: Denn an dem Klebeband fanden sich DNA-Spuren. Verteidige­r Marx hält dagegen: „Diese Spuren meines Mandanten waren schon viel länger auf dem Klebeband und stammen nicht aus der Tatnacht.“Die beiden Komplizen hätten sich im Haus des Verurteilt­en das Band besorgt: „Mein Mandant hat nicht gewusst, dass seine Komplizen das Klebeband zur Tatausführ­ung nutzen wollten.“

Die Männer stoßen die 91 Jahre alte Mutter des Sohnes zur Seite und reißen ihr eine Kette vom Hals, verletzen auch sie dabei. Als die Täter weg sind, kann die Seniorin das Klebeband vor dem Mund ihres Sohnes zerschneid­en. Sie alarmiert um 3.04 Uhr den Rettungsdi­enst. Zu spät. Das Gehirn ist bereits durch den Mangel an Sauerstoff so sehr geschädigt, dass der Mann am Nachmittag stirbt. Zu diesem Zeitpunkt ist das Täterquart­ett auf der Flucht und verhökert die Beute in Norditalie­n. Wenig später fasst die Polizei das jetzt verurteilt­e Ehepaar, während sich die beiden Komplizen absetzen können.

Ein neuer Prozess wird voraussich­tlich im Jahr 2020 weitere Details liefern, sollte Israel den dort einsitzend­en Komplizen ausliefern. Derzeit will der Mann nach Angaben seines Verteidige­rs keine Aussage machen.

Die alte Dame, die ihren Sohn verloren hat, und wieder in ihrem Haus lebt, wird das Urteil kaum trösten. In dem am Mittwoch zu Ende gegangenen Prozess trat sie als Nebenkläge­rin auf – allerdings nicht persönlich, sondern vertreten durch eine Anwältin.

Auch für Rechtsanwa­lt Guntram Marx ist das Verfahren noch nicht zu Ende, er will Antrag auf Revision stellen: „Das Urteil gegen meinen Mandanten kann vorm Bundesgeri­chtshof keinen Bestand haben, denn das Gericht stützt sich auf viele Vermutunge­n, hat aber keine Beweise. Die DNA-Spuren an dem Klebeband als alleiniges Indiz für dieses Urteil heranzuzie­hen, ist nicht zulässig.“

 ?? FOTO: LUDGER MÖLLERS ?? Ende eines langen Prozesses: Der Hauptangek­lagte verdeckt vor der Urteilsver­kündung im Ulmer Landgerich­t sein Gesicht mit einem Aktendecke­l. Für einen tödlichen Angriff bei einem Einbruch am Dreikönigs­tag 2018 ist der 41-Jährige zu lebenslang­er Haft verurteilt worden. Links im Bild: Seine mitangekla­gte Ehefrau, die für drei Jahre ins Gefängnis muss.
FOTO: LUDGER MÖLLERS Ende eines langen Prozesses: Der Hauptangek­lagte verdeckt vor der Urteilsver­kündung im Ulmer Landgerich­t sein Gesicht mit einem Aktendecke­l. Für einen tödlichen Angriff bei einem Einbruch am Dreikönigs­tag 2018 ist der 41-Jährige zu lebenslang­er Haft verurteilt worden. Links im Bild: Seine mitangekla­gte Ehefrau, die für drei Jahre ins Gefängnis muss.
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FOTO: MICHAEL KROHA Das Reihenhaus am Ulmer Eselsberg war im Januar 2018 Schauplatz des tödlichen Einbruchs.

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