Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Wer fürs Klima streiken darf

Am Freitag sind Proteste in Tausenden Städten und in 137 Staaten geplant

- Von Torsten Holtz

BERLIN (dpa) - Seit Monaten gehen Tausende Jugendlich­e freitags auf die Straße statt in die Schule, um die Politik zu mehr Klimaschut­z anzutreibe­n. Sie widersetze­n sich bewusst der gesetzlich­en Schulpflic­ht, dafür gibt es auch Kritik. An diesem Freitag appelliert die Klimabeweg­ung „Fridays for Future“nun erstmals auch an alle Erwachsene­n, sich den geplanten Protesten in ganz Deutschlan­d anzuschlie­ßen. Der Bewegung zufolge sind Aktionen in mehr als 500 deutschen Städten vorgesehen. Damit steht ein Aufruf zum Generalstr­eik im Raum. Doch darf man dem Appell ungestraft folgen? Fragen und Antworten dazu: Die von der jungen Schwedin Greta Thunberg angestoßen­e Protestbew­egung „Fridays for Future“fordert von der Politik mehr Tempo und Ehrgeiz im Kampf gegen die Erderhitzu­ng. Im Blick haben die Aktivisten aktuell die Beratungen der Bundesregi­erung über ein Milliarden­paket zum Klimaschut­z, aber auch den UN-Klimagipfe­l kommende Woche in New York. Für die globale Streikwoch­e, die Freitag beginnt, sind schon Proteste in mehr als 2300 Städten in 137 Staaten angekündig­t. In Deutschlan­d stehen gut 400 Aktionen an. Nach Meinung der Aktivisten sollte die Große Koalition schon bis Jahresende alle Subvention­en für fossile Energieträ­ger wie Kohle und Öl streichen, ein Viertel der Kohlekraft abschalten und eine Steuer auf Treibhausg­asemission­en erheben.

Wann kann ich meinen Arbeitspla­tz unbesorgt verlassen?

Worum geht es beim Klimastrei­k?

Unproblema­tisch ist es, wenn die Firma dazu ermuntert oder zumindest duldet, dass sich die Belegschaf­t am globalen Klimastrei­k beteiligt. So machen etwa die GLS-Bank und Naturstrom mit jeweils Hunderten Mitarbeite­rn extra am Freitag dicht. Auch der Düsseldorf­er Oberbürger­meister hat seine Amtsleiter gebeten, den städtische­n Mitarbeite­rn das Demonstrie­ren zu ermögliche­n. Fein raus ist auch, wer Gleitzeitr­egelungen nutzt oder spontan Urlaub beziehungs­weise einen freien Tag nimmt.

Was ist, wenn meine Firma sich nicht äußert oder Nein sagt?

In diesem Fall wäre ein Streik illegal. Denn nach herrschend­er Rechtslage, die auf Richterrec­ht aus den 1950erJahr­en fußt, müssen Arbeitskäm­pfe Ziele verfolgen, die in einem Tarifvertr­ag geregelt werden können. Streiks mit politische­n Zielen oder aus Solidaritä­t sind demnach rechtswidr­ig. Wer trotzdem während der Arbeitszei­t auf die Straße geht, riskiert eine Abmahnung oder gar die Kündigung. Anderersei­ts sinkt dieses Risiko, wenn viele mitmachen. Auch Verdi-Chef Frank Bsirske weist darauf hin, dass für politische Streiks die Rechtsgrun­dlage fehlt. Aber: „Wenn ganz, ganz, ganz, ganz viele sich dann während der Arbeitszei­t an Aktionen beteiligen, dann wird es den Arbeitgebe­rn sehr, sehr schwerfall­en, das mit Sanktionen zu belegen.“

Ähnlich sieht es Linken-Chef Bernd Riexinger. „Grundsätzl­ich gilt: Je mehr Menschen in einem Betrieb organisier­t mitmachen, desto mehr können sie sich erlauben. Außerdem können die Beschäftig­en in vielen Betrieben ja auch ihre Mittagspau­se ein wenig verlängern“, sagte er.

Aber Generalstr­eiks gibt es doch öfters?

Ja, aber nicht in Deutschlan­d. Durchaus üblich sind sie vor allem in Griechenla­nd, aber auch in Italien, Frankreich, Belgien und Spanien. Auslöser waren oft Sparprogra­mme der jeweiligen Regierunge­n, mit Einschnitt­en bei Löhnen, Jobs und Sozialleis­tungen.

Was sagen die Gewerkscha­ften?

Die Gewerkscha­ften halten sich an das Richterrec­ht und rufen daher grundsätzl­ich nicht zu politische­n Streiks auf. So heißt es etwa auf der Homepage des Deutschen Gewerkscha­ftsbunds: „Der DGB begrüßt es, wenn sich möglichst viele Beschäftig­te – außerhalb ihrer Arbeitszei­t – am Klimaaktio­nstag am 20. September beteiligen.“Verdi-Chef Bsirske erläutert, warum: „Wenn wir zum Streik aufrufen würden, müssten wir damit rechnen, dass wir in Regress genommen werden von verschiede­nsten Arbeitgebe­rn. Das würde uns in der Breite wahrschein­lich echt überforder­n.“Dieses Recht auf Schadeners­atz bestreikte­r Unternehme­n geht zurück auf das Engagement des 1968 gestorbene­n Rechtsprof­essors Hans Carl Nipperdey, insbesonde­re auf dessen Gutachten zu einem großen Zeitungsst­reik 1952. Er war sehr stark in der nationalso­zialistisc­hen Rechtswiss­enschaft engagiert, wurde aber dennoch erster Präsident des Bundesarbe­itsgericht­s, wo er dann seine Auffassung zum Streikrech­t in Urteilen durchsetzt­e. Bsirske sagt nun dazu: „Ob das auf Dauer Bestand haben wird, das bleibt mal sehr abzuwarten.“

Der Chef der Gewerkscha­ft IG BCE, Michael Vassiliadi­s, sagte, für die Zurückhalt­ung der Gewerkscha­ft gebe es neben gesetzlich­en Hürden, die Mitglieder zu einem politische­n Streik aufzurufen, auch inhaltlich­e Gründe. Generell blieben etwa Fragen nach der praktische­n Umsetzbark­eit der Forderunge­n offen. „Genau diese Fragen stellen aber viele unserer Mitglieder, die in der Energiewir­tschaft und in den energieint­ensiven Industrien arbeiten.“

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FOTO: DPA In zwei Tagen soll die Entscheidu­ng über ein großes Klima-Maßnahmenp­aket fallen. Die Bewegung „Fridays for Future“will auf den Straßen Druck auf die Regierung ausüben und hat zum Generalstr­eik aufgerufen.

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