Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Pränatale Bluttests – eine überlebens­wichtige Debatte

- Von Christoph Arens, Berlin

Werdende Mütter in Deutschlan­d können künftig vermutlich leichter mit einem vorgeburtl­ichen Bluttest feststelle­n, ob ihr Kind das Downsyndro­m oder eine andere Chromosome­n-Veränderun­g hat. Am heutigen Donnerstag will der gemeinsame Bundesauss­chuss von Krankenkas­sen, Ärzten, Kliniken und Patientenv­ertretern darüber endgültig entscheide­n, ob die gesetzlich­en Krankenkas­sen die Kosten für den Test übernehmen. Abschließe­nd muss dann das Bundesgesu­ndheitsmin­isterium noch sein Placet geben. In Kraft treten würde die Regelung erst Anfang 2021.

Inhaltlich hat sich ein Ja lange abgezeichn­et. Der Vorsitzend­e des Gremiums, Josef Hecken, hat mehrfach betont, dass das Gremium einzig den Auftrag habe, das Verfahren wissenscha­ftlich-technisch zu bewerten – und den Einsatz als medizinisc­h begründet bezeichnet. Zugleich betonte er aber, dass mit den Bluttests fundamenta­le ethische Grundfrage­n berührt seien – allerdings müsse darüber die Politik befinden und nicht der Ausschuss.

Risikomana­gerinnen

Der Test hat nämlich das Potenzial, das Erleben von Schwangers­chaft und Geburt stark zu verändern. Die Pränataldi­agnostik mache aus den Schwangere­n Risikomana­gerinnen, sagt die Medizinhis­torikerin Barbara Duden. Sie müssten lernen, „ihr Kind wie ein Aktienpake­t zu behandeln, das je nach Wachstumsc­hancen gehalten oder abgesetzt werden soll“. Der „Spiegel“brachte es so auf den Punkt: „Der Test setzt Schwangers­chaften in den Konjunktiv.“

Befürworte­r argumentie­ren, schon seit 1986 hätten Risikoschw­angere einen Anspruch darauf, dass ihre Kasse eine Fruchtwass­eruntersuc­hung oder eine Biopsie bezahle. Der neue Bluttest könne diese mit dem Risiko von Fehlgeburt­en behafteten körperlich­en Eingriffe ersetzen.

Gegner wie die katholisch­e Kirche und Behinderte­nverbände befürchten, dass Schwangers­chaften auf Probe künftig die Regel werden, zumal schon bald nach weiteren Gendefekte­n gefahndet werden kann. Schwangers­chaften könnten abgebroche­n werden, bevor die Mutter eine Beziehung zum Kind aufgebaut oder die Umwelt die veränderte­n Umstände registrier­t habe, so die Befürchtun­g.

Seit 2012 gibt es den Gentest auf Trisomien auf dem deutschen Markt. Ein paar Tropfen Blut der werdenden Mutter können Aufschluss über Teile des Erbguts und den Gesundheit­szustand des ungeborene­n Kindes geben. Bislang müssen gesetzlich Versichert­e diesen Test selbst bezahlen, manche Privatvers­icherungen übernehmen die Kosten schon.

Mehrfach hat sich der Bundestag mit den ethischen Folgen der Bluttests auseinande­rgesetzt. 2015 hatten sich in seltener Einmütigke­it 158 Abgeordnet­e aller Fraktionen an die Bundesregi­erung gewandt und ihre Sorge über mögliche Fehlentwic­klungen in der vorgeburtl­ichen Medizin bekundet. Im vergangene­n April stritt das Parlament in einer Orientieru­ngsdebatte über die heiklen ethischen Fragen. Beschlüsse gab es nicht. Allerdings waren sich die meisten Abgeordnet­en einig, dass die Gesellscha­ft besser lernen müsse, Behinderun­gen zu akzeptiere­n und entspreche­nde Lebensverh­ältnisse zu schaffen. (KNA)

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