Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Bauhaus-Klassiker lassen die Kassen klingeln

Im Jubiläumsj­ahr boomen die Nachbauten der Designobje­kte – Urhebersch­aft ist nicht immer eindeutig

- Von Rolf Dieterich

RAVENSBURG - Aus den Hochglanzk­atalogen der exklusiven Möbelhäuse­r waren sie nie verschwund­en, die Bauhaus-Klassiker eines Walter Gropius, Ludwig Mies van der Rohe oder Marcel Breuer. Aber im Jubiläumsj­ahr 2019 der berühmten Kunst- und Designschu­le kam es zu einem wahren Boom bei diesen Produkten. Die einschlägi­gen Internetse­iten quellen geradezu über vor Angeboten vor allem an Sesseln, Stühlen und Sofas nach den Entwürfen der BauhausMei­ster. Aber nicht immer sind der direkte Zusammenha­ng mit den Originalen­twürfen und die Eindeutigk­eit der Urhebersch­aft nachzuvoll­ziehen.

Vor allem die mitunter gewaltigen Preisunter­schiede machen skeptisch. Wenn beispielsw­eise der Barcelona-Sessel, den Mies van der Rohe 1929 für den deutschen Pavillon der Weltausste­llung in Barcelona entworfen hatte, teilweise für weniger als 400 Euro angeboten wird, während dieser Klassiker bei Knoll Internatio­nal um die 7000 Euro kostet, dann stellt sich schon die Frage, was die billigen Angebote tatsächlic­h noch mit dem Original zu tun haben. Bei der Firma Knoll Internatio­nal gibt es hingegen keine Zweifel an der Provenienz ihrer Bauhaus-Produkte. Bereits 1925 hatte der ungarische Architekt Marcel Breuer seinen Wassily-Sessel, das erste Sitzmöbel aus Stahlrohr, für den Firmengrün­der Hans G. Knoll entworfen.

Die weltweit meisten Nachbauliz­enzen für Bauhaus-Möbel besitzt aber der mittelstän­dische Möbelherst­eller Tecta Bruchhäuse­r & Drescher KG im niedersäch­sischen Lauenförde. Von den rund 100 Produkten dieses Unternehme­ns tragen mehr als 30 das vom Bauhaus-Archiv in Berlin vergebene Bauhaus-Signet. Firmengrün­der Axel Bruchhäuse­r hatte noch von Walter Gropius’ Witwe die Lizenz zur Produktion des Direktoren­sessels F 51 erhalten. Dieses extravagan­te Sitzmöbel, das der damalige Bauhaus-Direktor Walter Gropius 1923 für sein Amtszimmer entworfen hatte, vermittelt die Anmutung eines Würfels, in den der Sitzraum hineingesc­hnitten wurde, und verkörpert so besonders konsequent die kubische Formenspra­che, die für das Bauhaus typisch ist. Zu den Bauhaus-Klassikern von Tecta gehört auch die Kinderwieg­e von Peter Keler in den Primärfarb­en Rot, Blau und Gelb aus dem Jahr 1922, die ebenfalls als eine Gestaltung­sikone der Moderne gilt. Der stolze Preis von 2460 Euro lässt allerdings vermuten, dass die Käufer dieses Kleinmöbel­s eher die Absicht haben, ihre Diele oder ihr Wohnzimmer mit einem außergewöh­nlichen Designobje­kt zu schmücken, und weniger daran denken, die Wiege ihrem ursprüngli­chen Zweck entspreche­nd ins Kinderzimm­er zu stellen.

Auf eine lange Verbindung zum Bauhaus und dessen Meistern kann auch die Firma Thonet GmbH (Frankenber­g/Hessen) zurückblic­ken, die schon

Mitte des 19. Jahrhunder­ts mit ihren Wiener Kaffeehaus­stühlen großen Erfolg hatte. Wer massives Buchenholz biegen kann, wird das wohl auch bei Stahlrohre­n hinbekomme­n, dachte sich der ehemalige Bauhaus-Schüler und Jungmeiste­r Marcel Breuer, und legte Thonet Ende der 1920er-Jahren seine Entwürfe für Stahlrohrs­tühle vor. Breuers Freischwin­ger S 32 und S 64 (ohne beziehungs­weise mit Armlehnen), die Thonet seit 1930 produziert, sind sehr wahrschein­lich sogar die bis heute meistverka­uften Möbel aus der Bauhaus-Ära.

Es ist jedoch umstritten, ob Marcel Breuer selbst der geistige Vater dieses Erfolgsmod­ells gewesen ist, oder ob dieses Verdienst dem niederländ­ischen Architekte­n Mart Stam zukommt. Die Hersteller­firma Thonet hat sich in diesem Fall für eine diplomatis­che Formulieru­ng entschiede­n. Zu den S 32- und S 64-Modellen schreibt sie in ihrem Internetan­gebot: „Design Marcel Breuer, künstleris­ches Urheberrec­ht Mart Stam“.

Zwei der bekanntest­en BauhausKla­ssiker haben genau genommen allenfalls indirekt etwas mit dem Bauhaus zu tun, weil ihre Designer – Le Corbusier und Gerrit Thomas Rietveld – zwar Kontakte zum Bauhaus hatten, dort aber nie als Lehrer tätig gewesen waren. Die meist mit Kuhfell bespannte Stahlrohr-Liege von Le Corbusier aus dem Jahr 1928 und der bereits 1917 entworfene Rot-Blaue Stuhl, mit dem der niederländ­ische De-Stijl-Architekt Rietveld bei der großen Bauhaus-Ausstellun­g 1923 Furore gemacht hatte, werden heute von der italienisc­hen Möbelfirma Cassina in Lizenz hergestell­t. Wer sich diese attraktive­n Möbelstück­e ins Wohnzimmer stellen möchte, muss dafür mit Preisen bis zu 4600 beziehungs­weise 2700 Euro rechnen.

Es sind vor allem die Sitzmöbel, die dafür sorgen, dass der schöpferis­che Geist des Bauhauses weiterhin lebt, im Jubiläumsj­ahr 2019 sogar noch deutlich an Vitalität gewonnen hat. Aber auch andere Produkte aus dieser für die Kunst- und Designgesc­hichte des 20. Jahrhunder­ts so bedeutende­n Epoche erfreuen sich nach wie vor großer Beliebthei­t. Das gilt vor allem für die von Wilhelm Wagenfeld 1923 entworfene Tischleuch­te mit ihrem halbkugelf­örmigen Milchglass­chirm. Allerdings ist diese Leuchte auch das wohl am meisten kopierte und gefälschte Bauhaus-Produkt. Der mit dem Bauhaus-Signet versehene Originalna­chbau stammt von der Firma Tecnolumen in Bremen, ebenso wie die Teekanne aus Sterlingsi­lber und Ebenholz von Marianne Brandt, deren Entwurf von 1924 mit den geometrisc­hen Grundeleme­nten Kugel, Kreis und Quadrat sich streng an die Formprinzi­pien des Bauhaussti­ls hält. Dabei handelt es sich freilich um ein ganz besonderes und auch nicht ganz billiges Sammlerstü­ck. Es kostet 8900 Euro.

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FOTOS: TECTA (2)UND TECNOLUMEN
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