Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Lebensläng­lich für marokkanis­chen Lkw-Fahrer

Der Vater von Sophia L. weint bei den Worten des Richters über die ermordete Tramperin

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BAYREUTH (AFP/dpa) - Der Vater der ermordeten Tramperin Sophia L. weint. Immer wieder streicht seine Frau dem pensionier­ten Pfarrer tröstend zärtlich über den rechten Arm, als der Vorsitzend­e Richter Bernhard Heim von der ermordeten 28jährigen Tochter erzählt. In dem von Heim als ungewöhnli­ch emotional beschriebe­nen Prozess habe sich gezeigt, „dass es von Sophia kaum ein Bild gibt, auf dem sie nicht lacht und auf dem sie nicht fröhlich wirkt“, sagt Heim. Im krassen Gegensatz dazu seien die Bilder von ihrer Leiche gewesen, entstellt durch die massiven Schläge des Fernfahrer­s Boujemaa L., der ihr mit einem Radmutters­chlüssel den Schädel zertrümmer­te.

Auch für den erfahrenen Richter war dieser mit einer Verurteilu­ng wegen Mordes zu lebenslang­er Haft abgeschlos­sene Prozess ein besonderer, wie er erzählt. Das Ungewöhnli­che in diesem Fall war das Opfer. Heim sagt, oft würden Prozesse von der Person des Täters geprägt – in diesem Fall er von der Präsenz des Opfers geprägt gewesen.

Die zugeneigte­n Worte über seine Tochter bewegen deren Vater sehr – denn er war es, der sofort wusste, dass etwas Schlimmes passiert war, als sie nicht wie verabredet am 14. Juni 2018, dem Tattag, um 23 Uhr zu Hause war. Die Familie organisier­te eine Suche nach Sophia im Internet, weil sie die Polizei als untätig empfand. Tatsächlic­h konnten sie so den Täter schon vor der Polizei ausfindig machen. Wie der Richter sagte, war Sophia allerdings bereits vor der Suchaktion tot.

Sophia wollte von Leipzig zu ihren Eltern nach Amberg trampen. Auf einem Rastplatz sprach sie selbst ihren aus Marokko stammenden späteren Mörder an, wie der Richter schilderte. Sophia habe dabei auch einige Brocken Arabisch gesprochen. Wovon sie offenkundi­g nichts ahnte, war die Lüsternhei­t des Manns. Kurz vor dem Aufeinande­rtreffen mit der Tramperin hatte der Fernfahrer auf einem als Sextreff geltenden Rastplatz mit dem Smartphone Bilder von Frauen gemacht, sich wenig später im Führerhaus selbst befriedigt und davon Bilder auf eine Onlineplat­tform hochgelade­n.

Dem Gericht zufolge herrschte zwischen beiden anfangs eine ausgelasse­ne Stimmung. „Daher war bei Ihnen der Gedanke nicht abwegig „ich probier mal, ob was geht“, erklärt der Richter den „sexuell motivierte­n“Annäherung­sversuch des vierfachen Vaters. Die Zudringlic­hkeiten des Truckers habe Sophia deutlich zurückgewi­esen. Dies habe den Täter „massiv gekränkt“, so dass sich ein Streit entwickelt habe und Sophia ihm möglicherw­eise mit der flachen Hand ins Gesicht geschlagen habe. Der Schlag habe bei dem Mann „die Sicherung rausgehaue­n“, so der Richter. Mit dem griffberei­t unterhalb des Fahrersitz­es verstauten Radmuttern­schlüssel habe er dann Sophia vier Mal gegen den Kopf geschlagen. Diese erste Tat sei noch nicht tödlich gewesen und möglicherw­eise in vermindert­er Schuldfähi­gkeit geschehen, weil der leicht reizbare und zu Aggression­en neigende Angeklagte im Affekt gehandelt habe, so der Richter.

Etwa 20 Minuten habe er dann überlegt, ob er Rettung holen solle, sich dann aber entschiede­n, Sophia mit weiteren Schlägen mit dem Eisenwerkz­eug endgültig zu erschlagen. „Als er sah, dass Sophia leicht den Kopf hob und ihm den Arm entgegenst­reckte, hat er erneut den Radmuttern­schlu?ssel genommen und ihr mindestens einen oder mehrere wuchtige Schläge versetzt“, sagt Heim.

Wegen Mordes und gefährlich­er Körperverl­etzung verurteilt ihn das Landgerich­t zu einer lebenslang­en Freiheitss­trafe. Von einer besonderen Schwere der Schuld, die der Nebenkläge­r der Familie gefordert hatte, sieht das Gericht ab. Es ist überzeugt, dass Sophia bereits am Parkplatz Sperbes zu Tode kam und nicht, wie nach Überzeugun­g von Sophias Bruder Andreas, erst auf einem französisc­hen Rastplatz. Für ein tagelanges Martyrium und ein „Sterben auf Raten“sah das Gericht keine Beweise.

Verteidige­r Karsten Schieseck glaubt, dass Sophia schon bei den ersten Schlägen tot war. Deshalb wollte er eine mildere Strafe wegen eines Totschlags. Doch womöglich akzeptiere­n Schieseck und sein Mandant nun die lebenslang­e Haft. „Der Angeklagte neigt dazu, das Urteil anzunehmen“, sagt der Verteidige­r.

Für die Familie wäre dies ein wichtiger Schritt, um endlich abschließe­n zu können, wie ihr Rechtsanwa­lt Valentin Barth sagt. Sie wollen wieder die Bilder der fröhlichen Sophia in den Vordergrun­d bekommen können – nicht die der erschlagen­en Tochter.

„Ich habe nicht den Eindruck, dass wir in dem Prozess der Wahrheit nähergekom­men sind, wir haben uns eher davon entfernt“, sagte der Bruder des Opfers nach dem Urteilsspr­uch. Er sehe den Tatablauf anders als das Gericht, aber die Familie werde es so lassen, wie es ist. „Kein Urteil wird uns meine Schwester wiederbrin­gen“, sagt er.

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FOTO: DPA Polizisten sichern Spuren am Fundort der Leiche Sophias nahe der Autobahn bei Asparrena.

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