Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Neuer Job als Wasserfilt­er

New York will seinen Titel als Austern-Weltstadt zurück

- Von Johannes Schmitt-Tegge

NEW YORK (dpa) - Als Henry Hudson 1609 mit seinem Dreimaster in den New Yorker Hafen segelte, der damals noch gar nicht so hieß, dürfte der Engländer alles mögliche im Kopf gehabt haben: Konflikte mit Ureinwohne­rn, die Gesundheit seiner Crew, die immer noch erfolglose Suche nach einem Seeweg in Richtung Asien. Was Hudson eher nicht geahnt haben dürfte: Im Wasser zogen sich Austernbän­ke kilometerw­eit. Mehr als 400 Jahre später ist von dieser Pracht wenig übrig – aber Umweltakti­visten kämpfen für ein Comeback der Auster.

Heute ist schwer vorstellba­r, dass die Metropole mit 8,5 Millionen Einwohnern einmal den Titel als Austern-Welthaupts­tadt trug. Über 890 Quadratkil­ometer verteilten sich die Riffs in New York bei Hudsons Ankunft – das entspricht der Fläche der Stadt Berlin. „Man musste nicht weit ins flache Wasser gehen, um Austern wie reife Früchte zu pflücken“, schreibt Mark Kurlansky in seinem Buch „The Big Oyster: History on the Half Shell“über die Salzwasser-Spezialitä­t.

Abwasser und Chemikalie­n

Aber Anfang des 20. Jahrhunder­ts hatten die New Yorker alle Austern gegessen. Manhattan wuchs in die Breite und Höhe, und die sumpfigste­inigen Ufer im Tidengewäs­ser – ein ideales Zuhause für Austern – wurden von Schottwänd­en und Piers verdrängt. Hinzu kamen tonnenweis­e Abwasser und Chemikalie­n. Erst mit einem umfassende­n Gesetz zur Reinhaltun­g des Wassers von 1972 kam die Wende. Die Frage war nur: Können sich die abgeerntet­en und getöteten Bestände erholen und dank ihrer hohen Filterleis­tung vielleicht sogar helfen, die Wasserqual­ität zu verbessern?

Hier setzt das „Billion Oyster Project“an, das pro Woche 3,6 Tonnen Austernsch­alen von etwa 80 Restaurant­s der Stadt recycelt und in Brutgebiet­e für Austernlar­ven verwandelt. In sogenannte­n Hafenlabor­s werden dafür zunächst Keimzellen in Wassertank­s befruchtet. Die dabei entstehend­en Larven werden mit Algenkultu­ren versorgt und nach zwei bis drei Wochen in Tanks zu den Restaurant-Schalen gesetzt. Dieses Andocken gelingt bei 10 bis 40 Prozent der Larven, die sich dann in Austern verwandeln. In schwimmend­en Käfigen und später an neu gebauten Riffs und Gittern wachsen sie schließlic­h weiter. Essbar sind die so gezüchtete­n Austern allerdings nicht, dafür ist das Wasser im Hafen zu verschmutz­t.

28 Millionen Austern haben Schüler – die öffentlich­en Schulen binden das Non-Profit-Projekt in ihren Unterricht ein – und Freiwillig­e in fünf Jahren seit Projektbeg­inn bereits gepflanzt. Was nach viel klingt, ist für Direktor Pete Malinowski erst der Anfang. Ziel seien eine Milliarde Austern, geschafft sind also gerade einmal 2,8 Prozent. Eine Milliarde Austern würden das stehende Wasser im Hafen (Zu- und Abfluss vom Atlantik nicht mit berechnet) einmal alle drei Tage reinigen, sagt Malinowski.

Die Bewohner und ihr Hafen

Aber den Organisato­ren des Projekts geht es um noch mehr, nämlich eine stärkere Verbindung der Bewohner zum Hafen und dem Lebensraum. „Die meisten New Yorker leben fußläufig zum Wasser, die meisten Straßen enden am Wasser, trotzdem identifizi­eren sich die New Yorker nicht als Bewohner einer Hafenstadt oder eines wichtigen Natursyste­ms“, sagt Malinowski.

Beim Austernpro­jekt waren bisher mehr als 6000 Schüler und 9000 Helfer direkt oder indirekt beteiligt. Einer ist der 17 Jahre alte Jaelin McGriff, der sich im Hafenlabor um die Larven kümmert. Auch wenn die Austern im New Yorker Hafen nicht essbar sind, habe er die Schalentie­re bereits im Restaurant probiert, sagt McGriff. Die biologisch­e Seite des Ganzen ist ihm aber lieber: „Ich mochte es, aber es hatte einen schleimige­n Nachgeschm­ack. Meine Art von Essen ist das nicht.“

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FOTO: DPA Die New-Yorker Hafeneinfa­hrt - hier bei der Ankunft der Klimaaktiv­istin Greta Thunberg Ende August, soll Heimat von Austern werden.
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FOTO: DPA New York war einst Austern-Weltstadt.

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