Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Hier muss die Freiheit wohl grenzenlos sein
Neuseeland – Sehnsuchtsziel für Camper, Abiturienten und Hobbit-Fans
Das ist wohl das Gefühl der Freiheit, das so viele Neuseeland-Urlauber suchen. Den Campervan an einem weiten Flussbett abseits der Straße zu parken, irgendwo im Hinterland der dünn besiedelten Südinsel. Der Campingtisch wird ausgeklappt, der gekühlte Weißwein kommt auf den Tisch, während der Nachwuchs von Stein zu Stein über den Bach hüpft. Bis zum Sonnenuntergang wird niemand diese Idylle stören.
„Freedom Camping“, Freiheitszelten, nennen die Neuseeländer die günstigste Variante, ihr Land kennenzulernen. Manche würden auch sagen: Es ist die einzige günstige Variante. Motels und selbst Campingplätze gehen bei einem längeren Aufenthalt am Ende der Welt ganz schön ins Geld. Ein billiges Reiseland ist Neuseeland nicht. Das gilt auch für das Anmieten eines Wohnmobils oder Campervans. Dafür kostet der Stellplatz nichts: In weiten Teilen des Landes darf man sein Wohnmobil einfach in der Natur abstellen. In den Städten geht das nur auf ausgewiesenen, aber kostenlosen Stellplätzen.
„Das ist alles ganz einfach“, hatte der Mann von der Autovermietung in der Südinsel-Metropole Christchurch gesagt, während er einer Runde skeptischer Europäer die wichtigsten Handgriffe am Campervan zeigte. Wie man die Sitze zu Betten zusammenschiebt, und wo Platz fürs Geschirr ist. Vor allem aber, was es mit der autarken Chemietoilette auf sich hat, die für freies Campen gesetzlich vorgeschrieben ist. Die Plastikkiste ist unter einem Sitz verstaut, kann komplett herausgezogen und – ganz ohne Wände – irgendwo in die Natur gestellt werden. Wer diese Art von Naturverbundenheit nicht schätzt, muss aufs nächste Café oder die nächste Tankstelle warten.
Videos im Fjord
Reisen in Neuseeland braucht Zeit. Vor allem auf der Südinsel sind die Wege weit. Allein 118 Kilometer lang ist eine abzweigungslose Straße, die in dem Dorf Te Anau beginnt. An ihrem Ende liegt der Milford Sound, das wohl berühmteste Postkartenmotiv des Landes. Ein 14 Kilometer langer Fjord, der von der majestätischen Spitze des Mitre Peak überragt wird.
Chris Cody, Kapitän der „Milford Adventurer“, hat früher vor der Küste Hummer gefischt. Nun fährt er Urlauber durch den Fjord. „Bei Regen ist es hier am schönsten“, berichtet er. „Dann sind überall Wasserfälle, das ist wirklich spektakulär.“An diesem Morgen herrscht strahlender Sonnenschein, was für die Gegend im äußersten Südwesten Neuseelands eher ungewöhnlich ist. 200 Tage im Jahr regne es hier, sagt Cody. Delfine begleiten die „Milford Adventurer“, direkt neben dem Schiff taucht ein Pinguin aus dem Wasser. Seelöwen liegen faul auf einer Klippe in der Sonne. Cody liebt den Sound – und seinen Job. „Jeden Tag bekommt man etwas Neues zu sehen“, erzählt er. „Gerade heute morgen habe ich gesehen, wie ein Seehund einen Pinguin erbeutet.“Dann holt der Kapitän sein Handy aus der Tasche und zeigt ein Video, das man besser nicht die fünfjährige Tochter sehen lassen sollte.
Abgesehen von ein paar Südseeinseln ist kein Reiseziel weiter entfernt von Deutschland als Neuseeland. Deutsch hört man trotzdem gar nicht so selten. Zum einen sind viele Familien mit Kindern kurz vor der Einschulung unterwegs, die noch einmal die Möglichkeit nutzen wollen, eine Fernreise in den deutschen Winter zu verlegen. Zum anderen sind da die Abiturienten im „Workand-Travel“-Urlaub. Und dann sind da noch die deutschen „Herr der Ringe“-Fans.
„Der ,Herr der Ringe’ ist ein wichtiger Teil des neuseeländischen Tourismus, alle Statistiken zeigen das“, bestätigt Kevin Orlando. Der USAmerikaner lebt seit vier Jahren in Neuseeland und ist selbst Teil dieser Entwicklung: Er führt Touristen durch den Weta Workshop in Wellington, wo die berühmten Filme des neuseeländischen Produzenten und Regisseurs Peter Jackson geschaffen wurden: 2001 bis 2003 „Herr der Ringe“und 2012 bis 2014 „Der Hobbit“. Buchstäblich aus aller Welt kommen die Fans, die nicht nur die Studios in Wellington besuchen, sondern auch die über ganz Neuseeland verstreuten Drehorte wie „Hobbiton“, die Heimat der Hobbits. Das Dorf der kleinwüchsigen Fabelwesen wurde als detailverliebte Filmkulisse auf der neuseeländischen Nordinsel aufgebaut und nach Abschluss der Dreharbeiten so gelassen, wie es war. In Neuseeland werde schon diskutiert, ob die Hobbit-Euphorie den Tourismus nicht zu stark dominiere, berichtet Kevin Orlando. „Manche Leute finden, dass sie die Aufmerksamkeit vom Land selbst ablenkt.“Er selbst sieht das freilich nicht so. Tatsächlich ist das Geschäft einfach zu gut: In den Studios von Wellington gehen Nachbildungen der „Herr der Ringe“-Requisiten für viel Geld über den Tisch.
Dampfende Seen, knallgelbes oder quietschgrünes Wasser: In Rotorua ist die Landschaft keine Filmkulisse, sondern das natürliche Ergebnis von vulkanischer Aktivität. Hier, im Zentrum der Nordinsel, blubbern überall Tümpel, immer wieder riecht es unvermittelt nach Schwefel. Geysire schießen in die Höhe. Keine Frage: Unter der Erde von Neuseeland brodelt es. Carol Kahupikai Milner deutet auf einen Teich, in dem grauer Schlamm vor sich hin köchelt. „Vor der Kolonialisierung wurden Verstorbene in die Schlammteiche gelegt. Sie versanken.“Milner gehört zum Volk der Maori, den Ureinwohnern Neuseelands. Sie stellen etwa 15 Prozent der Bevölkerung. Die Pools von Rotorua haben für sie religiöse Bedeutung, wie viele Orte in der Natur. Milner arbeitet in Te Puia, einer Parkanlage, in der Urlaubern sowohl die geothermischen Aktivitäten der Region, als auch die Maori-Kultur gezeigt werden. Diese erlebt jetzt eine neue Blüte, wie Milner berichtet. „Mein Vater hat mich auf englisch erzogen“, erzählt die Anfang 60-Jährige. „Ich brauchte 20 Jahre um herauszufinden, warum. Er hatte Angst, dass wir bestraft werden, wenn wir in der Schule Maori sprechen.“Die Zeiten haben sich geändert. Inzwischen gibt es in Neuseeland Schulen, an denen Maori die erste Sprache ist. „Mein 32-jähriger Sohn spricht fließend Maori, ich lerne noch“, sagt Milner.
An dem einsamen Flussbett auf der Südinsel geht die Sonne unter. Mit dem Einbruch der Dunkelheit wird es empfindlich kühl. Am Himmel leuchtet das Kreuz des Südens. Das Sternbild, das die neuseeländische Flagge schmückt, ist an den Abenden ständiger Begleiter. Kein Licht weit und breit lenkt ab vom Strahlen der Sterne.
Weitere Informationen: www.newzealand.com
Weitere Eindrücke aus Neuseeland in einer Bildergalerie:
www.schwäbische.de/neuseeland2019