Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Obszöne Anrufe und Angebot für ein Kellerloch
So erlebt eine Frau ihre bisher vergebliche Wohnungssuche – Hunderte Wohnungen in Ravensburg stehen leer
RAVENSBURG - Elke Marie Kropp ist Nichtraucherin, hält kein Haustier, hat ein freundliches Auftreten und kann sich vorstellen, auf dem Land zu wohnen. Trotzdem sucht sie seit Mai 2019 vergeblich eine Wohnung in Ravensburg und Umgebung. Inzwischen sitzt die 58-jährige selbstständige Unternehmerin auf gepackten Kisten in ihrem bisherigen Zuhause in Ravensburg und wartet auf ein Wunder. Es müsste bis zum 31. Januar passieren. Dann muss sie nämlich ihren Hausschlüssel abgeben.
Mit einer Anzeige im Mitteilungsblatt für Eschach, Schmalegg und Taldorf hat sie ihre Situation geschildert und Eigentümer mit leerstehenden Wohnungen aufgerufen, sich bei ihr zu melden. Auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“erklärt sie sich zum Gespräch bereit. Sie erzählt von ihren Erfahrungen auf der Wohnungssuche – von obszönen Anrufen und der Besichtigung eines Kellerraums. „Es geht nicht nur um mich, sondern noch um viele andere“, sagt sie. „Ich wünsche mir, dass Vermieter mit einer freien Wohnung daran denken, dass viele aufrichtige Menschen quasi auf der Straße stehen.“
Ihre Wohnung wurde ihr gekündigt, die Vermieterseite machte aus persönlichen Gründen von einem Sonderkündigungsrecht Gebrauch. Zunächst war Kropp optimistisch, ein neues Zuhause zu finden – vielleicht sogar ein Stück näher an ihren beiden Pferden in Oberzell. Sie schrieb erste E-Mails und merkte schnell: Antworten bekam sie nur selten. Manche Vermieter nahmen Anzeigen nach zwei Stunden wieder aus dem Netz, weil sie schon mit Anfragen überhäuft worden waren, wie Kropp erzählt. Wer wie sie arbeiten muss und nicht den ganzen Tag am PC sitzen kann, bekomme einiges nicht mit.
Kropp bietet seit 2016 Coaching für Reiter an. Mit Pferdesportlern der baden-württembergischen Mannschaft im Westernreiten arbeitet sie auch bei der Deutschen Meisterschaft zusammen. Für ihre Aufträge ist sie in ganz Deutschland unterwegs. Für eine Zwei- bis Dreizimmerwohnung will sie als Alleinwohnende nicht mehr als 700 Euro warm ausgeben. In der angespannten Situation am Mietwohnungsmarkt
wird immer wieder von bezahlbarem Wohnraum gesprochen. Doch „bezahlbar“ist für jeden was anderes. „Für Randgruppen wird’s ganz eng“, sagt der Vorsitzende des Mietervereins Oberschwaben, Anton Schmidt. Früher habe es oft unsanierten
Altbau oder Wohnungen in schlechtem Zustand für wenig Geld zu mieten gegeben. Aber wegen des Zuzugs von jährlich rund 1000 Menschen in die wirtschaftlich prosperierende Stadt Ravensburg, und weil Geld zur Zeit oft lieber in Wohnungssanierung investiert statt bei der Bank geparkt wird, gebe es so günstigen Angebote kaum mehr. Wohnungssuchenden bleibe nur die
Möglichkeit, eine kleinere oder teurere Wohnung zu nehmen als geplant.
Elke Marie Kropp gab auch Gesuche auf. Doch statt seriöser Angebote, bekam sie obszöne Anrufe. Ein FKK-Anhänger habe ihr eine Wohnung bei sich im Haus offeriert, wo er gerne nackt unterwegs sei. Weil sie darin die Bereitschaft formuliert hatte, auf einem Bauernhof zu wohnen, machte ihr ein Landwirt das Angebot, gleich bei ihm einzuziehen. „Ich habe keine Partnerschaftsanzeige aufgegeben, ich suche lediglich eine Wohnung für mich!“, sagt sie.
Ihr Frust wuchs. Und ihre Wut. Bei der Besichtigung einer angeblichen
Elke Marie Kropp, Ravensburgerin auf Wohnungssuche
Einliegerwohnung habe man sie eine dunkle Treppe hinab in einen Raum geführt, der an einer Wand nicht einmal tapeziert gewesen sei. Statt eines Badezimmers gab es nebenan in der Waschküche eine Duschkabine, wie sie erzählt. Kropp war schockiert, weil dort tatsächlich jemand gewohnt habe.
Es gab auch tolle Wohnungen, die sie angeschaut hat, für die sie aber keine Zusage bekam. Eine schnappte ihr ein Mann weg, der die Räume ungesehen für seine studierende Tochter anmietete. Kropp mutmaßt, dass in solchen Fällen auch eine höhere Mietzahlung geboten wird. Von der täglichen Inseratsuche musste sie zwischenzeitlich auch mal einige Wochen pausieren. „Ich fühlte mich nahe am Burn-Out. Ich kam mit diesem Aussortiertwerden nicht mehr klar. Ich kam mir wie ein winzigkleiner Bittsteller vor.“In ihrer Anzeige im Mitteilungsblatt schreibt sie von der Panik, bald obdachlos zu sein. Sie habe sogar schon bei Vermietern geklingelt, von denen sie wusste, dass sie leerstehende Wohnungen haben. „Manche haben es nicht nötig, zu vermieten, sind mit einer Renovierung noch nicht fertig oder wollen die Wohnung für ihre Kinder freihalten“, sagt sie.
In Ravensburg und seinen Ortschaften stehen nach Schätzungen, die auf Angaben aus dem Zensus 2011 basieren, zwischen 300 und 600 Wohnungen leer, wie Baubürgermeister Dirk Bastin sagt. „Das kann sich inzwischen etwas verschoben haben, aber die Größenordnung müsste immer noch stimmen“, sagt Bastin. Überwiegend handle es sich bei diesen Leerständen um Wohnungen, die kurz vor der Renovierung stehen. Einen erheblichen Anteil machten aber auch Einliegerwohnungen aus, die in den 1970er- und 1980er-Jahren aufgrund staatlicher
Förderung entstanden seien und von den Eigentümern heute aus unterschiedlichen Gründen nicht mehr vermietet werden. Die Besitzer seien oft nicht nur alt, sondern auch ängstlich geworden und wollten niemand Fremden im Haus haben. Wer das Geld nicht brauche, lasse die Einliegerwohnung lieber frei, um Kinder oder Verwandte bei Besuchen dort einzuquartieren, sagt Bastin. Die Stadtverwaltung hatte schon angeboten, als Mieter einzuspringen und die Wohnungen weiterzuvermieten – so hoffte man, dass Eigentümer Ängste abbauen und mitmachen. „Aber wir haben festgestellt: Wir erreichen die Eigentümer nicht.“
Der Hausbesitzerverein Hausund Grund Ravensburg/Tettnang/ Wangen äußert jedoch Zweifel an den Zahlen zu Leerständen. Kaum ein Vermieter könne sich leisten, eine Wohnung einfach leer stehen zu lassen: „Wir Oberschwaben sind nicht gerade bekannt dafür, unser Geld zum Fenster rauszuschmeißen“, so der Vorsitzende Friedrich Wilhelm Utz. Die Städte Tübingen und Konstanz haben durch ein sogenanntes Zweckentfremdungsverbot Eigentümern, die Wohnungen leerstehen lassen, ein Bußgeld auferlegt. Doch davon hält die wohnungssuchende Elke Marie Kropp genau so wenig wie Bastin. „Wenn wir Vermieter durch unser gutes Angebot nicht überzeugen konnten, hilft es nichts, sie zu zwingen“, sagt der Baubürgermeister. Die Stadt könnte allerdings dort einen Riegel vorschieben, wo Wohnraum etwa zu Büros umgewandelt werden soll. „Bisher ist diese Idee von Seiten der Politik noch nicht an uns herangetragen worden, aber das wäre vorstellbar“, so Bastin. Um dem Wohnungsmangel zu begegnen, müsse mehr gebaut werden. „Die Bautätigkeit ist derzeit so groß wie zuletzt in den 1990erJahren nach der Wende“, sagt Bastin. „Wir sind auf einem guten Weg, aber das reicht immer noch nicht.“
Elke Marie Kropp kann auf einen Neubau nicht mehr warten. Auf ihre Suchanzeige hat sich in den fünf Tagen seit Erscheinen bis Montagnachmittag niemand gemeldet.
„Ich habe keine Partnerschaftsanzeige aufgegeben, ich suche lediglich eine Wohnung für mich!“
Wer Elke Marie Kropp eine Wohnung anbieten möchte, erreicht sie unter Telefon 0171 / 9452370.