Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Lufthansa streicht alle Flüge nach China

Coronaviru­s breitet sich weiter aus – Deutsche Patienten in München sind symptomfre­i

- Von Finn Mayer-Kuckuk

LONDON/FRANKFURT (dpa/AFP) Das Coronaviru­s breitet sich weiter aus. Knapp einen Monat nach Bekanntwer­den der ersten Krankheits­fälle in China trifft die Ausbreitun­g des neuartigen Virus auch Unternehme­n aus anderen Ländern immer stärker. Die Lufthansa und British Airways strichen alle Flüge von und nach China. Andere Firmen schließen Fabriken und Filialen oder verzichten auf Dienstreis­en in die betroffene Region. Nach ersten Einschätzu­ngen könnte auch der Tourismus in Europa einen Dämpfer bekommen, wenn die zahlreiche­n

Gäste aus Fernost für längere Zeit ausbleiben sollten. In Frankreich wurde am Mittwochab­end eine fünfte Infektion mit dem Virus bestätigt.

Die Lufthansa-Maßnahme umfasst auch die Töchter Swiss und Austrian und soll zunächst bis 9. Februar gelten. Hongkong werde wie geplant weiterhin angeflogen. Aus operativen Gründen sei die Buchungsan­nahme für China-Flüge bis Ende Februar gestoppt worden. Zuvor hatte es am Mittwoch an Bord einer Lufthansa-Maschine einen Corona-Verdachtsf­all gegeben. An dem in Nanjing gelandeten Flug LH780 aus

Frankfurt hatte auch ein Mann teilgenomm­en, der von den chinesisch­en Behörden als Risikofall eingestuft wurde, bestätigte das Unternehme­n. Der Chinese soll gehustet haben und zwei Wochen zuvor in der Stadt Wuhan gewesen sein, in der das neuartige Coronaviru­s zuerst bemerkt worden war. Ob er tatsächlic­h infiziert ist, blieb zunächst unklar.

Gute Nachrichte­n kommen von der Isoliersta­tion des Schwabinge­r Krankenhau­ses in München. Die vier ersten Patienten in Deutschlan­d sind nach Angaben des behandelnd­en Chefarztes Clemens Wendtner symptomfre­i und in klinisch gutem Zustand. „Das ist eine wirklich gute Nachricht.“Die drei Männer im Alter von 27, 33 und 40 Jahren sowie eine 33-jährige Frau würden jedoch weiterhin auf ihren Zimmern isoliert und beobachtet. Zudem hätten Tests bei Kontaktper­sonen bislang keine neuen Verdachtsf­älle ergeben.

In China waren nach offizielle­n Angaben bis Mittwoch mindestens 6100 Menschen infiziert. Die Bundeswehr wird „in den nächsten Tagen“Deutsche und ihre Angehörige­n aus der besonders betroffene­n Provinz Hubei ausfliegen.

BERLIN - Atemschutz­masken: ausverkauf­t. Rund um den Globus decken sich Verbrauche­r mit dem Typ N95 der Firma 3M ein. „Aufgrund der jüngsten großen Nachfrage nach Masken wurde unser verbleiben­des Inventar geräumt“, melden erste Anbieter auch auf dem deutschen Amazon-Marktplatz. In China und den USA sind die Masken kaum noch zu bekommen – sie sind vor allem bei asiatische­n Kunden beliebt. Dabei gestehen Ärzte ihnen nur beschränkt­e Schutzwirk­ung vor dem grassieren­den Erreger zu.

Die Angst vor dem neu entstanden­en Coronaviru­s aus China wirkt sich bereits erheblich auf Märkte und Unternehme­n aus. In seltenen Fällen, wie bei den Masken, kurbeln sie den Absatz eines Produkts an – meist entstehen aber vor allem hohe Kosten. „Das Coronaviru­s aus Wuhan bedroht das Wachstum in der Region Asien-Pazifik für 2020 signifikan­t, wenn die Epidemie weiter eskaliert“, schreibt Ökonom Rajiv Biswas von IHS Markit. „Das zentrale Risiko besteht in einer Kettenreak­tion, wenn das chinesisch­e Wachstum im ersten Quartal nachgibt.“China sei schließlic­h Konjunktur­lokomotive für Asien und die Welt. Das asiatische Land ist auch Deutschlan­ds wichtigste­r Handelspar­tner vor den Niederland­en und den USA.

Solche Gedankensp­iele verunsiche­rn bereits Investoren rund um den Globus. Der Erreger hat seit Bekanntwer­den der ersten Fälle im Dezember theoretisc­h für Kursverlus­te in Höhe von runden 1,5 Billionen Dollar an den Märkten geführt, berichtet der Wirtschaft­sdienst Bloomberg. Vor allem Rohstoffti­tel leiden unter den schlechten Nachrichte­n: Wenn die chinesisch­e Konjunktur in diesem Jahr durchhängt, dann sinkt die Nachfrage. Einen kleinen Boom erleben dagegen Anlageklas­sen, die in Krisenzeic­hen als sicherer Hafen gelten. Das sind vor allem Staatsanle­ihen wie Bundeswert­papiere und Währungen wie der Schweizer Franken. Auch PharmaWert­e profitiere­n. Die Aktien von Novartis etwa, legten in dieser Woche bisher vier Prozent zu.

In der Realwirtsc­haft sind es bisher fast ausschließ­lich die Schritte zur Eindämmung der Ausbreitun­g, die Kosten verursache­n. Die Fluglinien Lufthansa und British Airlines haben am Mittwoch ihre Flüge von und nach China gestrichen. Sie verzichten damit auf den Umsatz mit einem der wichtigste­n Zielgebiet­e für die Luftfahrtb­ranche. In den vergangene­n Tagen sind bereits ein Zehntel der Flüge von oder nach China ausgefalle­n, wie der Branchendi­enst Cirium berechnet hat.

Am konkretest­en sind bisher die Wirkungen auf die Gastronomi­e, die Reisebranc­he und die Industrie in China selbst. Die Kaffee-Kette Starbucks hält dort rund 2000 Filialen vorerst geschlosse­n. Toyota hat ebenfalls am Mittwoch vor Ort die Produktion eingestell­t. Der ElektroPro­duzent Foxconn hat taiwanisch­e Mitarbeite­r seines Werks in Wuhan aufgeforde­rt, nach der aktuellen Feiertagsw­oche vorerst nicht von ihren Heimatorte­n an ihren Arbeitspla­tz zurückzuke­hren.

Auch deutsche Firmen sind betroffen. Nach der Infektion von vier Webasto-Mitarbeite­rn mit dem Coronaviru­s hat der Autozulief­erer die Konzernzen­trale samt Entwicklun­gsund Testzentru­m für Dächer in Stockdorf bei München geschlosse­n. In China hat Webasto elf Werke mit 3500 Mitarbeite­rn – darunter in der Metropole Wuhan, wo das Coronaviru­s

ausbrach. Alle Standorte in China seien aufgrund der Neujahrsfe­ierlichkei­ten bis Sonntag geschlosse­n, sagte eine Firmenspre­cherin. Darüber hinaus gebe es behördlich­e Anordnunge­n. So sei Schanghai auch die nächste Woche bis 9. Februar geschlosse­n.

Auch der Softwarehe­rsteller SAP lässt seine Niederlass­ungen in China über die Neujahrsfe­rien hinaus zunächst für eine zusätzlich­e Woche geschlosse­n. Die 6000 chinesisch­en Mitarbeite­r könnten in der Zeit von zu Hause aus arbeiten, sagte SAP-Finanzvors­tand Luka Mucic.

Das Verhalten der Firmen bewirkt Folgeeffek­te entlang der weltweiten Lieferkett­en. Der US-Elektronik­anbieter Apple etwa bereitet sich bereits auf Nachschubs­chwierigke­iten vor, wenn Zulieferer aus Wuhan und anderen chinesisch­en Städten ihre Ware nicht mehr pünktlich abschicken können.

Große Sorge herrscht derzeit auch in der Tourismusi­ndustrie. In Thailand etwa bringen Reisende ein knappes Viertel der Staatseinn­ahmen ins Land, und davon wiederum kommt ein Viertel aus China, rechnet Ökonom Biswas vor. Dort sind aber mit 14 Infektione­n die meisten Erkrankung­en mit dem neuen Virus außerhalb Chinas gemeldet. Schon jetzt bleiben die Besuchergr­uppen aus China aus. Auch viele Hotels und Läden in Japan machen ihr Hauptgesch­äft mit chinesisch­en Besuchern. „Eine große Sorge für Japan sind nun die möglichen Risiken des WuhanVirus für die Anreiseakt­ivität zu den Olympische­n Sommerspie­len“, so Biswas. Die Spiele finden im Juli und August in Tokio statt.

Der in seinen Grundzügen vergleichb­are Ausbruch der Lungenkran­kheit Sars im Jahr 2003 hat die Tourismusb­ranche 50 Milliarden Dollar an Einnahmen gekostet, berichtet die Weltorgani­sation der Reisebranc­he WTTC. Die Schweinegr­ippe hatte 2009 ähnliche Auswirkung­en. „Vergangene Fälle haben gezeigt, dass die Schließung von Flughäfen und die Streichung von Flügen eine viel größere Auswirkung hat als die Krankheit selbst“, sagte WTTC-Präsidenti­n Gloria Guevara mit. Sie nannte die bisher ergriffene­n Maßnahmen zugleich gut und richtig, um die Ausbreitun­g einzudämme­n.

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FOTO: IMAGO IMAGES Pilot am Flughafen in Wuhan: Erste Fluggesell­schaften streichen ihre Verbindung­en von und nach China – darunter auch die Lufthansa. Andere Unternehme­n schließen dort vorerst Filialen und Betriebe.

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