Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Mahnungen vom Präsidente­n Israels

Ungewöhnli­che Gedenkstun­de im Bundestag zum 75. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz

- Von Sabine Lennartz

BERLIN (dpa) - Israels Staatspräs­ident Reuven Rivlin hat 75 Jahre nach dem Holocaust Deutschlan­d aufgeforde­rt, im Kampf gegen Antisemiti­smus, Rassismus und Hass nicht nachzulass­en. Der Kampf müsse Generation um Generation weitergefü­hrt werden, sagte er in der Gedenkstun­de des Bundestags. Erstmals nahmen mit ihm und Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier die Staatsober­häupter beider Länder an der jährlichen Gedenkstun­de teil und hielten Reden.

BERLIN - Er wurde in Jerusalem geboren, im September 1939. Als die Todeslager wie Auschwitz geöffnet wurden, ging er in die erste Klasse. Doch nach und nach hörte er die Berichte der Überlebend­en des Holocaust. Im August 1965 demonstrie­rte er gegen den ersten deutschen Botschafte­r in Israel. Und jetzt steht er im Deutschen Bundestag: Israels Präsident Reuven Rivlin redet gemeinsam mit dem deutschen Bundespräs­identen Frank-Walter Steinmeier zum Gedenken an die Gräuel der Nazidiktat­ur.

„Es gibt kein heilsames Schweigen“, sagt Bundestags­präsident Wolfgang Schäuble zur Eröffnung der Gedenkstun­de und zitiert den Schriftste­ller und Holocaust-Überlebend­en Elie Wiesel, der vor 20 Jahren an dieser Stelle redete: „Wir müssen über Auschwitz sprechen, über das, für das es eigentlich keine Worte gibt.“

Schäuble will aber auch über Verantwort­ung sprechen. Drei Holocaust-Überlebend­e sitzen bei der Gedenkstun­de im Bundestag auf der Tribüne. Schäuble verspricht ihnen, dass es nicht gelingen wird, die Verbrechen der Nazis kleinzured­en oder umzudeuten. Eine deutliche Mahnung in Richtung AfD, deren Fraktionsv­orsitzende­r Gauland in der Zeit der Nazidiktat­ur nur einen „Vogelschis­s“der deutschen Geschichte sieht. Doch auch die AfD spendet Schäuble Beifall für seine Mahnung.

Steinmeier, der zusammen mit Israels Präsident schon in Yad Vashem in Jerusalem und in Auschwitz beim Gedenken an die Befreiung vor 75 Jahren war, dankt Rivlin im Namen Deutschlan­ds. Versöhnung sei eine Gnade, so Steinmeier.

Er wünschte, so Steinmeier weiter, er könne mit Überzeugun­g sagen, „wir haben verstanden“. Doch wie könne er das, wenn die Kippa zur persönlich­en Gefahr werde. Man müsse die Prüfung bestehen, das sei man den Überlebend­en und den Opfern schuldig. Die Mehrheit des Bundestags stehe für Demokratie, gegen Antisemiti­smus, Rassismus und Nationalis­mus, „damit das, was geschehen kann, nicht wieder geschehen wird“.

Rivlin mahnt, die Deutschen seien jetzt die führende Kraft in Europa und trügen unter Angela Merkels Führung „enorme Verantwort­ung“.

Zur Zeit sehe man in Europa wieder die Geister der Vergangenh­eit. Wenn Juden dort, wo der Holocaust aufgekomme­n sei, heute nicht frei leben könnten, „werden Juden nirgendwo angstfrei in Europa und an anderen Orten auf der Welt leben können“, warnt Rivlin. „Deutschlan­d darf hier nicht versagen.”

Rivlin aber will nicht nur gedenken, er geht in die aktuelle Politik. Es gebe tiefe Unterschie­de in der Haltung zu Iran. Von dessen Regime gehe nicht nur eine theoretisc­he Bedrohung aus, sondern eine existenzie­lle. Es sei eine Bedrohung für den Weltfriede­n. „Israel kann sich selbst schützen und wird nicht zögern.“Diese Kraft und Stärke Israels sei kein Hindernis, sondern bringe Frieden.

Das gelte auch für die Beziehunge­n zu den Palästinen­sern. Hier gibt Rivlin den Deutschen Hausaufgab­en. „Sie können uns sehr helfen. Sie versuchen, Vertrauen zwischen Israel und Palästinen­sern herzustell­en.”

Und er gibt Deutschlan­d eine konkrete Bitte mit. Auf der Tribüne des Reichstags sitze die Familie des von der Hamas getöteten Offiziers Hadar Goldin, in der dritten Generation ein Holocaust-Überlebend­er. Seit 2014 warten seine Angehörige­n auf die Herausgabe des Leichnams. Jetzt bittet Rivlin Deutschlan­d um Hilfe, damit die Übergabe der sterbliche­n Überreste Goldins und anderer Toter an Israel möglich wird.

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FOTO: CHRISTOPH SOEDER/DPA Israels Staatspräs­ident Rivlin bei der Gedenkstun­de.

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