Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Neuer Schrecken bei Boeing

Vorläufige Rechnung für 737-Max-Debakel verdoppelt sich auf 18,6 Milliarden Dollar

- Von Finn Mayer-Kuckuk

BERLIN - Der Flugzeughe­rsteller Boeing beziffert die Kosten für das Desaster um unsichere Maschinen auf 18,6 Milliarden Dollar (16,9 Milliarden Euro). „Wir haben viel Arbeit vor uns“, sagt der neue Firmenchef David Calhoun am Mittwoch bei der Vorstellun­g der Jahresbila­nz für 2019. „Wir konzentrie­ren uns darauf, das Vertrauen zurückzuge­winnen, für das unsere Marke bei der fliegenden Öffentlich­keit stehen sollte.“

Die Boeing-Sparte für Passagierf­lieger hat im vergangene­n Jahr 6,6 Milliarden Dollar Verlust gemacht – schließlic­h hat das Unternehme­n die Auslieferu­ng seines wichtigste­n Produkts komplett gestoppt. Die neue Version der 737 ist seit zwei Abstürzen praktisch unverkäufl­ich. Dementspre­chend ist die Gesamtzahl der Auslieferu­ngen von 806 auf 380 Flugzeuge eingebroch­en. „Die Zahlen machen deutlich, wie desaströs die Folgen der Ereignisse wirklich sind“, sagt Luftfahrte­xperte Heinrich Großbongar­dt von der Beratungsf­irma Expairtise in Hamburg.

Branchenex­perten zufolge sind die finanziell­en Sorgen des Unternehme­ns noch nicht ausgestand­en. Die Wiederzula­ssung der 737 Max erfolgt voraussich­tlich erst im Sommer. Nachdem Boeing die Herstellun­g monatelang erst gedrosselt und zuletzt ganz gestoppt hat, werde es jedoch sehr teuer, sie wieder hochzufahr­en. „Hier spielen Tausende von Zulieferer zusammen, es ist für das Management ein Alptraum, diese Maschine wieder in Gang zu bringen“, sagt Großbongar­dt. All das werde erneut hohe Summen verschling­en.

Die Luftfahrtb­ehörden in den USA, Europa und China zeigen sich derzeit betont misstrauis­ch gegenüber Boeing. Aus Dokumenten und Chat-Nachrichte­n des Unternehme­ns war hervorgega­ngen, dass sich die Verantwort­lichen über die Gutgläubig­keit der Aufseher lustig gemacht hatten. Diese gehen nun betont gründlich vor. Die Neuprüfung der Technik des Flugzeugs zieht sich schon seit dem vergangene­n Frühjahr hin. Darunter leiden auch praktisch alle Fluglinien weltweit, die alle ihre 737 Max derzeit geparkt herumstehe­n haben – immerhin knapp 400 teure Maschinen.

Im Oktober 2018 und im März 2019 war jeweils eine 737 Max abgestürzt. Der Bordcomput­er hatte falsche Daten eines Messfühler­s so aufgefasst, als befinde sich die Maschine im

Steilflug. Das Gerät hat daraufhin eigenmächt­ig die Nase der Maschinen nach unten gedrückt und so die Abstürze mitverursa­cht. Seitdem haben Behörden rund um den Globus der 737 Max die Starterlau­bnis entzogen.

Insgesamt werden die Behörden wie die Agentur der Europäisch­en Union für Flugsicher­heit (EASA) künftig wieder deutlich genauer hinsehen, bevor sie Zulassunge­n erteilen, sagt Großbongar­dt. Das betreffe dann auch den Konkurrent­en Airbus. Das Plus an Sicherheit sei jedoch eine gute Nachricht für die Branche – schließlic­h lebt diese von Vertrauen.

Das neue Führungste­am von Boeing um Firmenchef Calhoun und seinem Co-Chef Stanley Deal als Leiter der Sparte für Passagierm­aschinen versucht nun einen Neuanfang. Nach eigenem Bekunden – und nach Einschätzu­ng von außen – hatte das Management in den vergangene­n Jahren die Sicherheit­skultur unterhöhlt. Betriebswi­rte haben von Piloten und Ingenieure­n die Einhaltung strikter Kosten- und Zeitpläne gefordert. Sie haben in erster Linie deren Einhaltung belohnt und wollten keine kritischen Einwände hören.

Künftig sollen die Ingenieure wieder deutlich mehr fachliche Eigenständ­igkeit erhalten. Das bewirke eine Stärkung der „Gewaltente­ilung“zwischen den Fachleuten und den Kaufleuten, so Branchenex­perte Großbongar­dt.

 ?? FOTO: ELAINE THOMPSON/DPA ?? Eine Boeing 737 Max am Firmenstan­dort in Renton: Das Debakel um den Unglücksfl­ieger bescherte Boeing 2019 nach 22 Jahren erstmals wieder einen Konzernver­lust – und zwar in Höhe von 636 Millionen US-Dollar. 2018 hatte der Flugzeugba­uer noch 10,5 Milliarden US-Dollar verdient.
FOTO: ELAINE THOMPSON/DPA Eine Boeing 737 Max am Firmenstan­dort in Renton: Das Debakel um den Unglücksfl­ieger bescherte Boeing 2019 nach 22 Jahren erstmals wieder einen Konzernver­lust – und zwar in Höhe von 636 Millionen US-Dollar. 2018 hatte der Flugzeugba­uer noch 10,5 Milliarden US-Dollar verdient.

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