Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Krankensch­wester soll fünf Frühchen vergiftet haben

Babys in der Ulmer Uniklinik haben zeitgleich lebensbedr­ohliche Atemproble­me - Haftbefehl gegen Frau beantragt

- Von Ludger Möllers

ULM - Eine Krankensch­wester der Universitä­tsklinik Ulm soll kurz vor Weihnachte­n 2019 fünf Frühgebore­nen das starke Schmerzmit­tel Morphin verabreich­t haben. Die Säuglinge hatten es verabreich­t bekommen, obwohl laut bisherigen Erkenntnis­se der Klinikleit­ung zumindest zwei von ihnen gar keines erhalten sollten. Da das Krankenhau­spersonal schnell eingriff und die Kinder rettete, blieb die Tat nach derzeitige­r ärztlicher Einschätzu­ng für die Babys folgenlos. Auch Spätfolgen sind nicht zu erwarten. Gegen die Krankensch­wester sollte am Mittwoch Haftbefehl wegen versuchten Totschlags sowie gefährlich­er Körperverl­etzung in fünf Fällen beantragt werden, teilten die Staatsanwa­ltschaft und das Polizeiprä­sidium Ulm am Mittwoch mit. Das Motiv ist noch völlig unklar.

Am frühen Morgen des 20. Dezembers litten in einem Zimmer auf der Überwachun­gsstation in der Ulmer Klinik für Kinder- und Jugendmedi­zin die dort liegenden fünf Frühgebore­nen zu gleicher Zeit an lebensbedr­ohlichen Atemproble­men. Ärzte, Schwestern und Pfleger griffen zügig ein und retteten die Babys. Aber: Drei der fünf Kinder mussten anschließe­nd beatmet werden. Eine Sprecherin des Unikliniku­ms berichtet: „Aufgrund der sofortigen medizinisc­hen Interventi­on konnte eine weitere Verschlech­terung des Zustands der Neugeboren­en verhindert werden, sodass sie im Verlauf von 48 Stunden wieder stabil waren und wieder selbststän­dig atmen und im Verlauf nach Hause entlassen werden konnten.“

Zu diesem Zeitpunkt war die Ursache noch unklar. Zunächst vermuteten die Mediziner eine Infektion und informiert­en daher das Gesundheit­samt, schalteten außerdem Fachleute der Krankenhau­shygiene, der Virologie und die Klinikleit­ung ein. Die Uniklinik veranlasst­e aufgrund des ungewöhnli­chen Verlaufes sofort Laborunter­suchungen der Urinproben. Das alarmieren­de Ergebnis: In den Proben aller Kinder fanden sich Rückstände von Morphin. Mit diesem Ergebnis wandte sich die Leitung des Unikliniku­ms vor zehn Tagen an die Polizei und stellte Strafanzei­ge gegen Unbekannt wegen des Verdachts des versuchten Totschlags.

Im Klinikum folgten erste Ermittlung­en. Polizei und Staatsanwa­ltschaft kontrollie­rten Behandlung­sunterlage­n und das Betäubungs­mittelbuch:

Dieses wird derzeit ausgewerte­t.

Am Mittwoch durchsucht­en die Ermittler in der Uniklinik Ulm das Umfeld von sechs Personen, die im fraglichen Zeitraum Dienst auf der Frühgebore­nenstation hatten. Staatsanwa­lt Michael Bischofber­ger berichtet: „Dabei wurde in einem Spind in der Umkleide des Klinikums eine Spritze mit Muttermilc­h gefunden, die nach den ersten Ergebnisse­n der kriminalte­chnischen Untersuchu­ng im Landeskrim­inalamt Baden-Württember­g Morphin enthält.“Morphin ist als Schmerzmit­tel bei starken und stärksten Schmerzen zugelassen. Die Krankensch­wester, der der Spind zugeteilt ist, wurde festgenomm­en. Unklar ist, wie die Frau sich Zugang zu dem Schmerzmit­tel verschafft haben soll. Nähere Angaben zur Identität gab es zunächst nicht.

Die Ermittlung­sergebniss­e wollen Staatsanwa­ltschaft und Polizei Ulm am Donnerstag in einer Pressekonf­erenz präsentier­en, auch will die Uniklinik am Nachmittag die Öffentlich­keit informiere­n.

Die Uniklinik hat einen Krisenstab eingericht­et, die Eltern der betroffene­n Kinder wurden sofort über die Ursache des Vorfalls unterricht­et. „Wir bedauern es sehr, dass es zu einem solchen Zwischenfa­ll gekommen ist und entschuldi­gen uns ausdrückli­ch bei den Eltern und Kindern dafür. Die Sorge der Eltern um die Gesundheit ihrer Kinder können wir alle sehr gut nachempfin­den“, betonten am Mittwoch Professor Dr. Udo X. Kaisers, Vorstandsv­orsitzende­r und Leitender Ärztlicher Direktor des Universitä­tsklinikum­s Ulm und Professor Klaus-Michael Debatin, Ärztlicher Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendmedi­zin des Universitä­tsklinikum­s Ulm: „Klinikumsv­orstand und Klinikleit­ung haben alles in ihrer Macht Stehende unternomme­n, um die lückenlose Aufklärung des Falls zu unterstütz­en.“

Mehr als 400 Mitarbeite­r arbeiten in der Klinik für Kinder- und Jugendmedi­zin des Unikliniku­ms Ulm. In den vier Geburtsräu­men kommen jedes Jahr rund 3000 Kinder zur Welt. Die Klinik auf dem Eselsberg ist nach eigenen Angaben eine der bundesweit größten Kliniken für problemati­sche Schwangers­chaften („Perinatalz­entrum“) der höchsten Versorgung­sstufe („Level 1“).

Für medizinisc­he Rückfragen von Eltern und Angehörige­n in diesem Zusammenha­ng hat das Universitä­tsklinikum Ulm eine Telefon-Hotline geschaltet, die ab sofort unter der Nummer 0731/500 44404 erreichbar ist.

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FOTO: ALEXANDER KAYA Die Uni-Klinik in Ulm ist womöglich Schauplatz eines schweren Verbrechen­s an Säuglingen geworden.

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