Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Wenn der Lohn nicht zum Leben reicht
„Sorry We Missed You“von Altmeister Ken Loach ist aufwühlendes Kino
Ricky und Abby Turner hatten einmal eine Zukunft. Der Traum vom Eigenheim schien greifbar nahe, dann aber crashte während der Finanzkrise ihre Bank, das Geld war weg. Ricky verlor seine Arbeit und alle Hoffnungen und Wünsche lösten sich ins Nichts auf. Seitdem lebt das Paar mit den beiden Kindern in einem feuchten, schmutzigen, heruntergekommenen Zuhause in Newcastle und jeder Tag ist ein harter Überlebenskampf. Abby bringt als Altenpflegerin etwas Geld nach Hause, Ricky hält sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser. Ein sozialer Abstieg in rasender Geschwindigkeit.
„Sorry We Missed You“heißt der neue Film von Ken Loach, mit dem er vehement soziale Gerechtigkeit und ein menschenwürdiges Leben einfordert. 83 Jahre ist der Regisseur inzwischen alt – und noch immer ist er wütend. Und immer wieder stellt er die prekäre Wirklichkeit der Arbeiterklasse in einer globalisierten Welt ins Zentrum seiner Filme. Auch Ricky (Kris Hitchen) schrammt mit seiner Familie immer am Abgrund entlang, dann aber eröffnet sich eine Chance: Er bekommt einen Job als Paketzusteller. Das klingt erst einmal ganz gut: „Du arbeitest mit uns, nicht für uns“, sagt ihm salbungsvoll sein neuer Boss Maloney. Doch Ricky wird bald etwas anderes zu spüren bekommen.
Der Stress, die Belastung, der permanente Zeitdruck – bei Ricky liegen schon bald die Nerven blank. Da Ricky als freier Unternehmer arbeitet, bekommt er bei Fehlstunden oder im Krankheitsfall kein Geld.
Vor allem die Kinder leiden unter der Situation. Seb schwänzt die Schule und hängt lieber mit seinen SprayerFreunden herum, und die kleine Liza Jane sieht ihre Eltern kaum noch. Die beiden sind nur von einem einzigen Wunsch beseelt – dass alles wieder so sein soll wie früher. Und Abby? Auch die einfühlsame Pflegerin (Debbie Honeywood), die sich in ihrem Job so viel Zeit für die Menschen nimmt, kann irgendwann nicht mehr.
Der Regisseur ist ein großer Geschichtenerzähler. Sein Sozialdrama ist packend, berührend, einfühlsam und mit viel Herzblut erzählt. Bei aller Niedergeschlagenheit, bei all der Wut und Frustration gibt es doch immer wieder auch kleine Momente des Glücks. Obwohl diese äußerst flüchtig sind. „Sorry We Missed You“– das ist aufwühlendes Kino, das inzwischen immer seltener wird. (dpa)
Sorry We Missed You, Regie: Ken Loach, F/B/GB 2019, 100 Min., FSK: ab 12. Mit Kris Hitchen, Debbie Honeywood, Rhys Stone, Katie Proctor.