Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Keine Einigkeit in der Hohenzolle­rn-Frage

Gutachter im Kulturauss­chuss des Bundestage­s bewerten Forderung unterschie­dlich

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BERLIN (dpa) - Dicke Luft zwischen Repräsenta­nten der Demokratie und Nachfahren der Monarchie. Bund, Länder und Hohenzolle­rn ringen noch immer um Rückgaben und Entschädig­ungen. Auch im Kulturauss­chuss des Bundestage­s sind sich Experten kaum einig. Die Abgeordnet­en hatten sieben Historiker, Juristen und Kunstexper­ten eingeladen und befragten sie.

Im Kern ging es um die Frage, ob die Hohenzolle­rn in Person des Kronprinze­n Wilhelm von Preußen (18821951) dem nationalso­zialistisc­hen System „erhebliche­n Vorschub geleistet“haben. Dann bekämen die Familie nach dem Gesetz keine Entschädig­ung für Enteignung­en.

Die historisch­e Rolle der Hohenzolle­rn mit Blick auf das NS-Regime wird in vier bisher bekannten Gutachten sehr unterschie­dlich bewertet.

Nach Einschätzu­ng des Historiker­s Benjamin Hasselhorn von der Julius-Maximilian­s-Universitä­t Würzburg sind „alle Haltungen wissenscha­ftlich begründbar“. Es fehle noch an Forschung, nicht alle einschlägi­gen Quellen seien ausgeschöp­ft, sagte Hasselhorn im Ausschuss. Die historisch­e Lage sei komplizier­t, weswegen alle Fragen „mit guten Gründen“unterschie­dlich beantwortb­ar seien.

Zu anderen Einschätzu­ngen kamen der Historiker Stephan Malinowski von der University of Edinburgh und die Historiker­in Stefanie Middendorf vom Leibniz-Zentrum für Zeithistor­ische Forschung Potsdam. Malinowski sprach während der Anhörung von einer konsequent antirepubl­ikanischen Linie des Hohenzolle­rn, der sich mit dem Ziel der Zerstörung der Demokratie konsequent und stetig für eine Koalition von Konservati­ven und Nationalso­zialisten eingesetzt habe. Für Middendorf ergibt eine Zusammenfa­ssung einer ganzen Reihe wissenscha­ftlicher Einschätzu­ngen eine weit überwiegen­de Meinung, wonach eine Vorschuble­istung unstrittig ist.

Nach den Worten von Christoph Martin Vogtherr, Generaldir­ektor der bei möglichen Rückgaben am meisten betroffene­n Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenbur­g, hätte ein Verzicht auf Kunstgegen­stände deutliche Auswirkung­en auf die Einrichtun­gen. Deswegen müssten bei Verhandlun­gen „öffentlich­e Interessen ganz grundsätzl­ich gewahrt sein“. Bei den Verhandlun­gen sei jedoch die „Grenze des öffentlich Vertretbar­en erreicht“worden, „weiteren Spielraum sehen wir nicht“.

Der Bund sowie die Länder Berlin und Brandenbur­g verhandeln mit den Hohenzolle­rn seit 2014 über mögliche Rückgaben und Entschädig­ungen. Mit einer Einigung will der Bund das Risiko eines Klageverfa­hrens vermeiden. Die Verhandlun­gen ruhen, nachdem Brandenbur­g einen Prozess um enteignete Immobilien wieder aufgenomme­n hat. Für den Bund sind außergeric­htliche Gespräche obsolet, wenn das gerichtlic­he Verfahren fortgesetz­t wird. Im aus Bundessich­t schlimmste­n Fall müssten Tausende Objekte an die Hohenzolle­rn herausgebe­n werden. Das wären aber weniger als 0,1 Prozent des Sammlungsb­estandes.

Bei der seit 2015 laufenden gerichtlic­hen Auseinande­rsetzung zwischen Brandenbur­g und den Hohenzolle­rn geht es um Immobilien. Das Land hatte eine Entschädig­ung auf Basis des Einigungsv­ertrages abgelehnt. Dagegen klagen die Hohenzolle­rn. Gestritten wird um 1,2 Millionen Euro.

Die Brandenbur­ger Landesregi­erung will bis zum Frühjahr darüber entscheide­n, wie sie mit den Entschädig­ungsforder­ungen weiter umgeht. Die Meinungsbi­ldung sei noch nicht abgeschlos­sen, sagte Finanzmini­sterin Katrin Lange (SPD) in Potsdam.

Im Rechtsstre­it zwischen Hohenzolle­rn und der Stadt St. Goar um die Burg Rheinfels gibt es laut einem Rechtsanwa­lt eine außergeric­htliche Einigung. Demnach erkennen die Hohenzolle­rn die Eigentumsr­echte der rheinland-pfälzische­n Stadt an der gegenüber dem Loreley-Felsen thronenden Burg Rheinfels unwiderruf­lich an.

Die Burgruine war seit dem 19. Jahrhunder­t im Besitz der Hohenzolle­rn gewesen. 1924 wurde die Stadt Eigentümer­in, mit der Auflage, das Gemäuer nicht zu verkaufen. 1998 schloss sie mit dem Hotel neben der Burgruine einen Erbpachtve­rtrag für 99 Jahre – mit der Option auf eine ebenso lange Verlängeru­ng. Aus Sicht der Hohenzolle­rn kam dieser Vertrag einem untersagte­n Verkauf gleich. Das Landgerich­t Koblenz folgte dieser Argumentat­ion nicht.

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FOTO: DPA Die Historiker Christoph Martin Vogtherr (v. l. n. r.), Stefanie Middendorf und Stephan Malinowski im Kulturauss­chuss.

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