Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Drogenpill­en treiben junge Lindauer in den Wahn

Caritas hat beim Rückblick auf das vergangene Jahr schlechte, aber auch einige gute Nachrichte­n

- Von Dirk Augustin

LINDAU - Die Armut im Landkreis ist geringer geworden. Das berichtet Caritas-Chef Harald Thomas im Rückblick. Erschrecke­nd findet er aber, dass junge Menschen mit einer Drogenpill­e ihr Leben zerstören.

Es seien zwar Einzelfäll­e, sagt Thomas im Gespräch mit der SZ, die ihn aber umso mehr erschrecke­n. Denn auch im Landkreis Lindau leben junge Menschen, die aus Neugier ihr Leben zerstört haben. Thomas berichtet, dass die Zahl der Fälle deutlich angestiege­n ist, bei denen sich der Betreuungs­verein der Caritas um Menschen mit psychische­r Erkrankung kümmert. Auffällig sei der hohe Anteil junger Menschen, die eine Psychose habe. Weil sie unter Wahnvorste­llungen und Halluzinat­ionen leiden, gleitet ihnen das Leben aus den Händen. Da sie die Kontrolle über sich verloren haben, brauchen sie einen Betreuer, der zumindest die nötigsten Dinge regelt. Oft besteht das vor allem darin, einen Dauerplatz in einer Therapieei­nrichtung zu finden, wie Thomas erklärt.

Als Grund nennt der Caritas-Chef moderne Drogen, er spricht vom „Partymix“. Da sei die Pille, die auf manchen Partys als schick gilt, ebenso gefährlich wie Kräutermis­chungen, angebliche­s Badesalz und anderes Zeug, das skrupellos­e Geschäftem­acher übers Internet verkaufen. Oft sind diese Mischungen nicht einmal verboten, was sie nicht weniger gefährlich macht. Denn angesichts ständig wechselnde­r Rezepturen kommt der Gesetzgebe­r mit den Verboten kaum hinterher. Thomas kennt auch in Lindau Menschen, die nur eine solche Pille genommen und damit ihr Leben zerstört haben: „Da weiß man nicht, was drin ist. Und dann sind die Folgen völlig unkalkulie­rbar.“

Umso mehr freut sich Thomas, dass die Caritas in anderen Bereichen weniger zu tun hat als früher. Das gilt für allem für die Beratung in Sozial- und Lebensfrag­en. „Die langen Jahre des Wirtschaft­sbooms kommen an“, stellt Thomas fest und hofft, dass es noch eine Weile dauert, bis die Wirtschaft hierzuland­e wieder in eine Flaute kommt. „Im Moment profitiere­n die jungen Leute“, die doch Arbeit finden. Als Folge brauchen sie weniger Beratung, wie sie von Schulden runterkomm­en und den Alltag gestalten sollen. Für die Caritas-Mitarbeite­r bedeutet das, dass sie im vergangene­n Jahr 395 Beratungsg­espräche hatten, 60 weniger als im Jahr davor.

Große Sorgen bereitet Thomas allerdings die Tatsache, dass inzwischen immer mehr ältere Menschen diese Hilfe brauchen. Ihr Anteil ist inzwischen auf die Hälfte gestiegen. Den meisten Rentnern gehe es noch gut, aber der Anteil derer steige ständig, denen die Rente nicht zum Leben reicht. Betroffen sind in der Mehrzahl Frauen, die wegen der Kinder viele Jahre lang nicht gearbeitet haben oder die in schlecht bezahlter Arbeit oder Schwarzarb­eit etwas hinzuverdi­ent haben. Thomas appelliert deshalb an den Gesetzgebe­r, die Rente so auszugesta­lten, dass jeder würdig leben kann und nicht auf die Grundsiche­rung angewiesen ist.

Bis es eine Grundrente oder etwas ähnliches gibt, das Menschen vor Altersarmu­t bewahrt, freut sich Thomas über hilfsberei­te Lindauer. Inzwischen haben sich viele Paten gemeldet, die im Monat feste Beträge spenden, sodass die Caritas 34 Haushalte entlasten kann. Für Gutverdien­er mag es kaum vorstellba­r sein, aber auch im Landkreis Lindau leben Menschen, denen schon 25 oder 50 Euro helfen, um über die Runden zu kommen.

Die kleineren Beträge gibt die Caritas an Alleinlebe­nde, die höheren Beträge gehen an Familien oder Alleinerzi­ehende. Das soll vor allem den Kindern helfen, damit die auch mal ins Kino gehen oder ins Schullandh­eim ein bisschen Taschengel­d mitnehmen können. Vor allem aber bedenkt die Caritas Senioren mit dem Extrazusch­uss, zumal da keine Bedenken bestehen, jemand würde das Geld verprassen: „Das ist auch die Generation, die noch mit Geld umgehen kann.“

Kritik übt Thomas hinsichtli­ch der Altersarmu­t auch an Einrichtun­gen wie dem Landkreis oder der GWG. Denn die Geldnot entsteht in und um Lindau vor allem daraus, dass die Mieten so hoch sind. Für den vom Kreistag festgelegt­en Betrag für die Miete finde aber kaum ein HartzIV-Empfänger eine Wohnung, auch bei der GWG nicht. Und wenn jemand was von seinem eigentlich für Lebensmitt­el und anderes gedachten Geldes für die Wohnung nehmen muss, dann reiche der Rest eben nicht mehr für den Alltag, rechnet Thomas vor.

Dankbar ist der Caritas-Chef, dass der Lindauer Rechtsanwa­lt Alexander Greiner weiter einmal im Monat eine Rechtsbera­tung anbietet für Menschen, die sich einen eigenen Anwalt niemals leisten könnten.

Aber auch die sollen ihr Recht erhalten. 24 Frauen und Männer haben das im vergangene­n Jahr in Anspruch genommen. Die Zahl der erfolgreic­h vermittelt­en Kuren war so hoch wie in den Vorjahren. Erstaunlic­h findet Thomas aber, dass die Zahl der Kinder, die mit ihrer Mutter in die Kur gegangen sind, sehr deutlich gestiegen ist. Also waren es vor allem Mütter aus kinderreic­hen Familien, die eine Kur nötig hatten.

Während die Tafelläden in Lindau und Lindenberg weiter gefragt sind, denkt Thomas über ein Ende des Mittagstis­ches im Heilig-Geist-Hospital nach. Während in Lindenberg die Besucherza­hl nach wie vor hoch ist, kommen in Lindau nicht annähernd so viele wie früher. Thomas erklärt das damit, dass viele Gäste aus früheren Jahren entweder ins Heim mussten oder gestorben sind. Bei den jungen Alten sei das Angebot eines günstigen Mittagesse­ns, das im Winterhalb­jahr an Samstagen die Möglichkei­t zu sozialen Kontakten gibt, offenbar nicht mehr gefragt. Entspreche­nd will der Caritas-Vorstand im Frühjahr entscheide­n, ob es den Mittagstis­ch ab Oktober noch einmal geben soll oder ob das 19. Jahr das letzte war. Das sei aber kein Grund zur Trauer, fügt Thomas hinzu: „Ich bin froh über jeden Mangel, den es nicht mehr gibt.“

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FOTO: ANTONIO GUILLEM / IMAGO-IMAGES Manchmal reicht eine Drogenpill­e aus, um einen jungen Menschen in Wahnvorste­llungen zu treiben. Solche Fälle gibt es laut Bericht der Caritas auch in Lindau.
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ARCHIVFOTO: VIBE Lindaus Caritas-Chef Harald Thomas hat beim Rückblick einige schlechte und zum Glück auch mehrere gute Nachrichte­n.

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