Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Ein Kraftwerk, das CO2 verschluck­t

Die Atmosphäre könnte auf diese Art entlastet werden – Ideen und Pilotproje­kte gibt es

- Von Valentin Frimmer

BERLIN (dpa) - Auf der Suche nach neuen Waffen im Kampf gegen die Klimaerwär­mung schielen Wissenscha­ftler auf Island im Norden Europas. Dort filtert eine spezielle Anlage, die an eine übergroße Klimaanlag­e erinnert, Kohlendiox­id (CO2) aus der Luft. Das Treibhausg­as wird gelöst in Wasser 700 Meter tief in den Boden gepresst – und damit dauerhaft der Atmosphäre entzogen. Das klingt nach einer sauberen Lösung, wird aber bislang nur in winzigem Maßstab betrieben.

Auf dem Projekt und einer Handvoll anderer Testanlage­n ruhen große Hoffnungen. Denn negative Emissionen – also das Entziehen von CO2 aus der Atmosphäre – müssen in wenigen Jahren eine große Rolle spielen. Kaum ein Modellszen­ario zum 1,5-Grad- oder 2-Grad-Ziel kommt ohne sie aus. „Es ist unrealisti­sch, die Klimaerwär­mung zu stoppen, ohne der Atmosphäre zumindest etwas CO2 zu entnehmen“, sagt Sabine Fuss vom Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC).

Das Potenzial ist in der Theorie enorm. Doch in der Praxis wird der Atmosphäre bislang nur in homöopathi­schen Dosen CO2 entnommen. So entzieht die isländisch­e PrototypAn­lage, die zu den sogenannte­n DACCS-Verfahren gehört, der Umgebungsl­uft geschätzte 50 Tonnen CO2 im Jahr. Sie ist Teil des CarbFix2Pr­ojekts und steht auf dem Gelände des Geothermie-Kraftwerks Hellisheid­i. In den nächsten anderthalb

Jahren soll laut Hersteller Climeworks eine größere Anlage entstehen, die mehrere Tausend Tonnen CO2 pro Jahr filtern kann.

Doch die Menschheit emittiert mehr als 40 Milliarden Tonnen (Gigatonnen) CO2 im Jahr – ohne erkennbare­n Rückgang. Ginge es weiter wie bisher, läge der Temperatur­anstieg laut UN-Umweltprog­ramm Unep Ende des Jahrhunder­ts bei 3,4 bis 3,9 Grad. Soll die Erderhitzu­ng hingegen auf 1,5 Grad begrenzt werden, müssen laut Weltklimar­at die NettoEmiss­ionen kontinuier­lich sinken, auf null im Jahr 2050.

Der Ausstoß von Treibhausg­asen wird sich Experten zufolge nicht ganz vermeiden lassen. „Gewisse Restemissi­onen werden wohl bleiben“, sagt Gunnar Luderer vom Potsdam-Institut für Klimafolge­nforschung (PIK). Als Beispiele nennt er den Flugverkeh­r und die Zementprod­uktion. Damit die Rechnung trotzdem aufgeht, sind negative Emissionen nötig.

Neben technische­n Lösungen könnten riesige Wälder theoretisc­h gigantisch­e CO2-Mengen aufnehmen. Zudem könnte eine nachhaltig­ere Landwirtsc­haft viel CO2 im Boden speichern. Doch Fuss vom MCC gibt zu bedenken, dass Land- und Forstwirts­chaft derzeit der Atmosphäre noch Treibhausg­ase hinzufügen, statt welche zu entfernen.

Rund 20 Prozent des derzeitige­n CO2-Ausstoßes müssten in 30 Jahren durch negative Emissionen ausgeglich­en werden, schätzt Andreas Oschlies vom Geomar HelmholtzZ­entrum für Ozeanforsc­hung in Kiel. Das wären rund acht Gigatonnen im Jahr. „Das ist hochambiti­oniert und sehr optimistis­ch, aber machbar“, sagt Oschlies.

Bislang sind die Erfolge bei negativen Emissionen durch technische Ansätze extrem überschaub­ar – auch weil sie oft teuer sind. Es gibt nur wenige Testanlage­n. Deutschlan­d spielt dabei laut Fuss vom MCC keine Rolle: „Deutschlan­d als Technologi­e-Nation hat sich nicht darum gekümmert.“

Eine der bislang effektivst­en Anlagen ist Teil einer Fabrik im kleinen Städtchen Decatur im US-Bundesstaa­t Illinois. Hier wird Mais zu Ethanol vergärt. Dabei entsteht CO2, das anschließe­nd in ein unterirdis­ches Lager gepresst wird. Kohlendiox­id, das der Mais beim Wachsen aus der Luft gebunden hat, wird also dauerhaft der Atmosphäre entzogen. Im Jahr 2018 wurden mit dem sogenannte­n BECCS-Prinzip nach Betreibera­ngaben etwas über eine halbe Million Tonnen CO2 gespeicher­t. Doch auch BECCS hat einen Haken: Für die Methode sind riesige Agrarfläch­en nötig, auf denen dann keine Nahrung produziert wird.

Andere Ansätze wie beispielsw­eise die künstliche Verwitteru­ng sind bislang nur im Labormaßst­ab erforscht. Dabei soll bestimmtes Gestein fein gemahlen und auf Äcker oder auch ins Meer gestreut werden, wie Helmholtz-Forscher Oschlies erklärt, der selbst an der Technik forscht. Die Partikel reagieren dann chemisch mit dem CO2 aus der Luft beziehungs­weise dem Oberfläche­nwasser des Meeres und entziehen damit der Atmosphäre CO2. Um eine Tonne CO2 aus der Luft zu binden, bräuchte es laut Oschlies etwa eine Tonne Gestein.

Luderer vom PIK bezweifelt, dass ohne aktive politische Steuerung eines der technische­n Verfahren für sich gesehen in den kommenden 30 Jahren einen nennenswer­ten Beitrag zum Klimaschut­z leisten kann. Der PIK-Forscher hält bis 2050 global einige Hundert Millionen Tonnen durch DACCS und BECCS für möglich. „Ein bis zwei Gigatonnen sind theoretisc­h auch erreichbar“, sagt er. „Aber nur, wenn man es ernst meint und jetzt in die kommerziel­le CO2Entnahm­e einsteigt.“

Was muss geschehen, damit Technologi­en zur CO2-Entnahme in die Gänge kommen? Fuss fordert mehr Forschungs­förderung und einen hohen CO2-Preis, der auf Firmen Druck macht. Ob negative Emissionen tatsächlic­h irgendwann den Kinderschu­hen entwachsen, steht in den Sternen. „Das Beste ist, CO2 gar nicht erst zu emittieren“, sagt Fuss vom MCC. „Besser man macht erst gar keinen Dreck, dann muss man hinterher nicht aufräumen.“

„Besser man macht erst gar keinen Dreck, dann muss man hinterher nicht aufräumen.“

Sabine Fuss, Wissenscha­ftlerin vom Mercator-Institut

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FOTO: ARNI SAEBERG/DPA Dampf steigt vom Thermalkra­ftwerk Hellisheid­i auf Island auf. Auf dem Gelände steht eine Anlage, die der Luft CO entziehen kann.

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