Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Ruhig ins Halbfinale
Tennisprofi erreicht erstmals Halbfinale eines Grand Slams – weil er ruhiger geworden ist
Alexander Zverev glänzt bei den Australian Open
MELBOURNE (dpa/SID) - Auf dem erhofften Weg zu seinem ersten Grand-Slam-Titel will Alexander Zverev keinen Tennisschläger mehr zertrümmern. Seine Ausraster hat sich der beste deutsche Tennisprofi in Melbourne abgewöhnt. Nichts scheint ihn, der so enttäuschend ins Jahr gestartet war, bei den Australian Open zu erschüttern. Eindrucksvoll machte der 22-Jährige so mit seinem Erfolg gegen den früheren Melbourne-Champion Stan Wawrinka seine Premiere im Grand-Slam-Halbfinale perfekt.
So langsam verstehe er den Spruch, in der Ruhe liege die Kraft, sagte Zverev, als er nach dem 1:6, 6:3, 6:4, 6:2 gegen den Schweizer schon fast alle Antworten im größten Pressekonferenzraum der Australian Open gegeben hatte. „Es wird immer noch passieren, dass ich einen Schläger kaputt mache, aber hoffentlich nicht diese Woche“, sagte er. „Vielleicht werde ich älter. Ich habe versucht, das zu ändern.“
Thiem rang Nadal in einem epischen Match nieder
Es war nicht zu übersehen, wie glücklich Alexander Zverev war. Nein, betonte er im Überschwang der Gefühle, dieser Tag sei jetzt nicht der glücklichste in seinem Leben, „wenn ich ins Finale komme, wird das der glücklichste Tag in meinem Leben sein“. Dafür müsste der Hamburger am Freitag (9.30 Uhr MEZ) das Halbfinale gegen seinen Freund Dominic Thiem gewinnen. Der Österreicher rang in einem verbissen geführten Match den Weltranglistenersten Rafael Nadal mit 7:6 (7:3), 7:6 (7:4), 4:6, 7:6 (8:6) nieder. Gegen Zverev hat der Weltranglistenfünfte eine positive Bilanz – 6:2. „Ich freue mich auf Freitag“, sagte Thiem.
Zverev, der vor den beiden gespielt hatte, wollte sich das Match am Fernseher anschauen. Er sah ein episches Spiel. Doch chancenlos geht er nicht ins Halbfinale. Wie er als erster Deutscher seit Tommy Haas 2009 in Wimbledon in die Runde der letzten Vier bei einem Grand Slam einzog, das ist eines Champions würdig. Nur einen Satz hat er im Turnier abgegeben. Von diesem ersten Satz gegen Wawrinka ließ er sich zudem nicht aus der Ruhe bringen, auch wenn er später im Spaß sagte: „Ich habe mir schon überlegt, wie ich das erkläre, dass ich in drei Sätzen verloren habe.“
Stattdessen durfte Zverev berichten, wie ihm die Wende gelungen sei. Bislang, erklärte er, habe er bei kühlen Temperaturen gespielt. Am Mittwoch waren es um die 30 Grad. „Da fliegen die Bälle dann schneller und weiter.“Darauf habe er sich erst einstellen müssen. Und das wiederum gelang ihm mit einer bemerkenswerten Souveränität. Nun zahle sich eben das harte Training aus, das er nach dem „schrecklichen“ATP Cup und vor Melbourne absolviert habe. „Ich habe das Gefühl, dass ich jetzt mehr Kontrolle auf dem Platz habe“, sagte er.
Zverev mischt als jüngster der vier Halbfinalisten noch mit. „Er macht gerade große Schritte als Tennisspieler, als Mann. Er hat in Melbourne
viele Fans gewonnen“, sagte Tennis-Ikone Boris Becker bei Eurosport.
Seinen desaströsen Saisonstart mit drei Niederlagen macht Zverev derzeit komplett vergessen. Seine Ansage, im Falle des Titelgewinns das gesamte Preisgeld von 4,12 Millionen australischen Dollar (rund 2,5 Millionen Euro) für die Betroffenen der australischen Buschbrände zu spenden, klingt längst nicht mehr so unrealistisch wie noch nach der ersten Runde.
Bei den Grand-Slam-Turnieren hatte der 1,98 Meter große Schlaks seine eigenen Ansprüche schließlich bisher noch nie wirklich erfüllen können, auch nicht mit den Viertelfinals bei den French Open 2018 und 2019.
Darum, beschloss er, müsse sich etwas ändern. „Ich habe es vielleicht zu sehr gewollt. Ich habe Dinge zu professionell gemacht. Ich habe mit niemandem geredet. Ich bin nicht mit Freunden ausgegangen“, schilderte er. „Ich habe das diese Woche etwas verändert. Ich bin relaxter. Ich mache viel mehr Dinge außerhalb des Platzes.“
Seine neue Freundin Brenda Patea soll dabei geholfen haben. Noch beim Kennenlernen im Oktober hatte sie keine Ahnung von Tennis, sie scheint ihn auf andere Gedanken zu bringen. Zverev wirkt gereift, freundlich. Er reagiert nicht pampig, wenn ihm Fragen nicht gefallen. „Er ist wie ein normaler Coach, der seinen Spieler nicht so sehr mag“, scherzte Zverev etwa über seinen Vater. Bedingungslos stellte er sich damit hinter Alexander Zverev senior als Trainer, der gerührt auf der Tribüne saß, und wehrte sich damit auch gegen einen Rat von Becker: „Es gibt keinen Grund, irgendwas an meinem Team zu ändern. Geht es nach mir, bleibt er so lange wie möglich im Team.“