Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Bauernmill­iarde oder Schweigemi­lliarde?

Der angekündig­te Geldsegen für die Landwirte stößt selbst bei Nutznießer­n auf Protest

- Von Klaus Wieschemey­er und Nina Jeglinksi

BERLIN - „Wir lassen uns nicht kaufen“, sagt Christian Lohmeyer. Der Aktivist der Bauernbewe­gung „Land schafft Verbindung“steht in einem am Donnerstag­vormittag bei Facebook hochgelade­nen und bis zum Nachmittag dreiundrei­ßigtausend­mal geteilten Video in seinem Pferdestal­l und erklärt, dass die Landwirte die „Schweigemi­lliarde“nicht wollen. Stattdesse­n will Lohmeyer die „postfaktis­che Düngeveror­dnung“kippen, die seit Monaten bei den Landwirten für Frust und Unmut sorgt. Daraus entstanden Bewegungen wie „Land schafft Verbindung“, die im ganzen Land mit Traktorend­emos und grünen Kreuzen auf sich aufmerksam machen.

Von einer „Bauernmill­iarde“sprach am frühen Donnerstag­morgen gegen 2 Uhr CSU-Chef Markus Söder nach einer Sitzung des Koalitions­ausschusse­s. Dort hatten sich die Koalitions­spitzen geeinigt, die deutsche Landwirtsc­haft binnen vier Jahren mit einer Milliarde Euro „für Agrarumwel­tprogramme und Investitio­nen“zu unterstütz­en. Damit sollen die Bauern beim „Transforma­tionsproze­ss“unterstütz­t werden. Wohin genau das Geld fließen soll, ist noch unklar: Denkbar sind Blühstreif­enprogramm­e sowie der Bau von Güllebehäl­tern.

Deutschlan­d droht Strafe

Eine Entschärfu­ng der Düngeveror­dnung plant die Regierung dagegen offenbar nicht. So sollen die traditione­ll zerstritte­nen Ministerie­n für Landwirtsc­haft und Umwelt zwar bis Freitag „einen konsentier­ten Entwurf“vorlegen. Doch das Ziel sei, eine Klage der EU gegen den langjährig­en Nitratsünd­er Deutschlan­d „abzuwenden“. Brüssel hat immer wieder klargestel­lt, dass es die bisherigen deutschen Düngeregel­n für zu lasch hält, um das Grundwasse­r vor zu viel Nitrat zu schützen. Nun drohen der Bundesrepu­blik bis zu 861 000 Euro Strafe – pro Tag.

Versuche der Bundesmini­sterinnen Julia Klöckner (CDU, Agrar) und Svenja Schulze (SPD, Umwelt), die Kommission zu besänftige­n, sind bisher gescheiter­t. Gleichzeit­ig rumort es: Vor allem an den Nitratmess­ungen des Grundwasse­rs und der Frage, ob die Landwirtsc­haft an hohen Werten alleine Schuld hat, gibt es Zweifel. Auch die geplanten Einschränk­ungen sind umstritten. Landwirte

warnen vor weniger Pflanzenwa­chstum und schlechter­er Qualität: Doch ein Aussetzen der verschärft­en Regeln kommt Klöckner zufolge nicht infrage. Entspreche­nde Forderunge­n seien „unrealisti­sch“, schrieb die Ministerin den Bundestags­abgeordnet­en. „Wir befinden uns nicht am Beginn eines konstrukti­ven Prozesses mit der Kommission, sondern am Ende eines juristisch­en. Die Dauerkriti­k bringt vor allem die Union als Landwirtsc­haftsparte­i in Bedrängnis: Die CDU-Bundesvize Silvia Breher warnte kürzlich, der Partei würden die Bauern weglaufen.

Nun will die Koalition die wütenden Bauern mit Geld besänftige­n: Bundespoli­tiker von CDU/CSU und SPD lobten am Donnerstag die Einigung, allerdings gab es auch kritische Zwischentö­ne: „Die Verstärkun­g der Agrarumwel­tmaßnahmen um über eine Milliarde Euro ist insgesamt richtig“, sagte der CDU-Bundestags­abgeordnet­e Josef Rief, der selbst einen Bauernhof hat. Rief sieht die Landwirte im Südwesten auch als Opfer von Güllesünde­n in anderen Teilen Deutschlan­ds wie dem niedersäch­sischen „Schweinegü­rtel“. „Aus baden-württember­gischer Sicht wäre sicher keine derartige

Verschärfu­ng der Düngeveror­dnung notwendig. Sie zielt vor allem auf die Bundesländ­er ab, wo die Nitratwert­e über dem Grenzwert sind und ein Zusammenha­ng zur Landwirtsc­haft bestehen könnte“, sagte er.

Der agrarpolit­ische Sprecher der SPD-Fraktion, Rainer Spiering, verbindet die Förderzusa­ge an Forderunge­n an die Landwirtsc­haft, sich zu erneuern. „Das Geld muss an diejenigen gehen, die bereit sind, den Schritt in die Zukunft zu gehen.“

Selbst der Bauernverb­and ist mit der Förderzusa­ge nur eingeschrä­nkt zufrieden. Zwar lobte Präsident Joachim Rukwied die Milliarde als „starkes Signal der Wertschätz­ung an uns Bauern“. Doch „Geld allein löst die Herausford­erungen nicht“, betonte er. Fachliche Mängel müssten korrigiert werden, warnte Rukwied.

„Überstürzt­e Panikreakt­ion“

Für die Grünen ist die Bauernmill­iarde eine „überstürzt­e Panikreakt­ion“der Agrarminis­terin. „Julia Klöckner will die Bauernprot­este offenbar hastig unter einen Geldteppic­h kehren“, sagte der Grünen-Bundestags­abgeordnet­e Harald Ebner. Damit mache Klöckner den zweiten Schritt vor dem ersten. Und dieser wäre eine

„grundlegen­de Reform der Agrarförde­rung“. „Ziel muss es sein, die ganzen rund sechs Milliarden Euro Fördergeld­er, die Bäuerinnen und Bauern schon bisher jährlich in Deutschlan­d erhalten, nach ökologisch­en Kriterien zu vergeben“, fordert Ebner. Dort pro Jahr „gerade mal vier Prozent“draufzuleg­en, sei ein „ÖkoFeigenb­latt“. Ebner kommt auf vier Prozent, weil er die Fördersumm­e durch die vier Jahre teilt. Bei genauerem Durchrechn­en wird aus der stolzen Milliarde eine überschaub­are Summe: Bei noch etwa 260 000 landwirtsc­haftlichen Betrieben in Deutschlan­d würden im Schnitt pro Monat und Hof im Schnitt nur etwa 80 Euro bleiben. Auch die FDP, die nun verstärkt um Landwirte wirbt, kritisiert­e die Milliarde scharf: Parteichef Christian Lindner kritisiert­e, Probleme würden nicht gelöst, sondern mit Steuergeld zugeschütt­et. Für Aktivist Christian Lohmeyer ist klar, dass die Milliarde nicht zur Befriedung beiträgt, im Gegenteil. „Das lassen wir uns nicht bieten“, sagt der „Land schafft Verbindung“-Mann im Video und fordert von Klöckner eine Rückkehr zur „Wahrheit“. Seine Prognose: „Bei uns werdet ihr auf Granit beißen.“

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FOTO: PHILIPP SCHULZE/DPA Bei der Gülleausbr­ingung werden längst genauere Verfahren als früher angewendet. Trotzdem drohen weitere Einschnitt­e.

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