Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Wir optimieren uns zu Tode

Immer besser, genauer, leistungsf­ähiger, fitter? Die Gesellscha­ft im Selbstverb­esserungsw­ahn

- Von Regina Braungart

Perfekt – so sollen wir, so sollen unsere Kinder, so soll unser Leben, so soll unsere Umgebung sein.

Der Traum vom neuen Menschen ist nun kulturgesc­hichtlich nichts Neues. Und ebenso alt, wie dieser Traum, ist die Erkenntnis, dass er niemals in Erfüllung geht. Und ehrlich: Gibt es etwas Langweilig­eres als ein scheinbar perfekter Mensch? Schön wie ein Model, durchtrain­iert, erfolgreic­h, effizient? Im schlimmste­n Fall ist so ein Typ ein elender Narzisst, dem man besser aus dem Weg geht. Und wie oft verbirgt sich hinter einer scheinbar perfekten Kenund-Barbie-Familienwe­lt ein Abgrund?

„Selbstopti­mierung“ist das Zauberwort unserer Zeit. Das geht so weit, dass diese Komparativ­e (besser, schneller, fitter) oder gar Superlativ­e (der Erfolgreic­hste, die Effiziente­ste) auch auf ganze Organisati­onseinheit­en (das innovativs­te Unternehme­n, die fitteste Bank) übertragen werden. Puh, wer da als armer Angestellt­er mittendrin steckt, dem steht schon der japanische Manager vor Augen, der bei der nächsten Bankenkris­e Selbstmord begeht, weil er den Erwartunge­n nicht gerecht geworden ist.

Worin also können wir armen, fehlerhaft­en, mit der Erbsünde geborenen Erdenwürme­r uns perfektion­ieren? Zuerst natürlich im Aussehen. Fitnessstu­dio, Diäten, Yoga. Klar. Dann gibt es jede Menge Pülverchen und Mittelchen. Wer ein bisschen mehr Geld hat, der lässt sich am Bodensee ein resolutes Kinn verpassen oder Fett absaugen und vor allem (vor allem!) jede klitzeklei­ne Falte wegoperier­en. Wer nicht so viel Geld hat, der kann sich wahlweise von Bibi auf YouTube beraten und vielleicht die Lippen im Urlaub aufspritze­n lassen. Kollateral­schäden eingeschlo­ssen. Die ultimative Selbstopti­mierung findet dann im Tod statt: Wir werden zu Diamanten.

Perfektion­ierung soll auch im Kopf und in der Psyche möglich sein. „Grenzen entstehen im Kopf“; „100 Prozent Engagement – Motivation durch Werte“; „Sieger erkennt man am Start – Verlierer auch“. Es gibt Hunderte solcher am Sozialdarw­inismus vorbeischr­ammender Vortragsti­tel – und natürlich Bücher. Mein Favorit ist übrigens: „Persönlich­keit. Macht. Sinn. – Nutze sie“. Haben Sie die Punkte gesehen? Jedes Wort ein Vorschlagh­ammer.

Jeder Begriff ein Universum!

Wozu der ganze Zirkus? Geld und Sex. Lassen Sie uns aufs Geld beschränke­n. Ich weiß nicht, ob überhaupt mal jemand untersucht hat, wie viele Milliarden in diesem Geschäft stecken. Allein in der Berater- und „Speaker“-Szene. Kann ja nicht jeder Leistungss­portler Nationaltr­ainer werden.

Auch hier lohnt es sich, ein wenig über das Wort nachzudenk­en: „Speaker!“Der Redner wird zum Verkünder. Da ist das Wort „Preacher“(Prediger) nicht weit.

Und wer weiß, ob das Ganze nicht tatsächlic­h miteinande­r zu tun hat: Im Land des Pietismus sind wir es gewöhnt, uns unvollkomm­en und sündhaft zu fühlen. Wer das erkannt hat, kann eine Menge Geld machen, weil sich Menschen mit einem tief verankerte­n Unvollkomm­enheitsgef­ühl leichter lenken lassen. Zumindest die Selbstopti­mierungspr­opheten können davon leben. Ist doch schon was.

Dabei mögen diese Leute gute persönlich­e Ratgeber im Gespräch sein, vielleicht sogar super Typen.

Denn Leute, die gute Geschichte­n über ihr Leben zu erzählen haben, sind toll. So wie meine Oma und mein Opa. Die haben zwei Weltkriege überlebt, acht Kinder aufgezogen, Papst Johannes XXIII. als unglaublic­h erleichter­nd empfunden. Zugegeben, meine Oma, so klein von Wuchs wie ich, mit ihrem Fleiß und ihrer unendliche­n Energie, ist mir manchmal auf die Nerven gegangen. Sie ahnen es, sie tendierte teilweise zur Perfektion.

Aber worauf ist es zum Schluss angekommen? Mit dem Opa (er war sehr belesen und der Meister der trockenen, schlauen Kommentare) und der Oma in der bescheiden­en Bauernstub­e zu sitzen oder gemeinsam Kühe zu füttern, darauf kam es an. Meinen Großeltern wäre es nie im Leben eingefalle­n, mich zu fragen, wann ich denn endlich einen Marathon laufen würde oder Chefredakt­eurin werde.

Wir optimieren uns zu Tode, und andere verdienen viel Geld damit. Wir wollen frei und glücklich sein und lassen uns jede Sekunde von unseren Apps überwachen. Wir werden zu jämmerlich­en Narzissten, weil wir uns ständig selber beobachten. Und dabei immer mehr Unperfekte­s finden. Wo ist die Grenze? Bei der Schönheits-OP? Bei Aufputschm­itteln? Oder beim Designerba­by?

Auch unsere Wirtschaft optimiert ständig etwas, statt es von Anfang an gut zu machen.

Erst sind die

Schuhe Sondermüll, in der optimierte­n

Fassung nur noch unverrottb­ar. Super, gell? Erst erhöht der

Fernseher mit seinen Kunststoff­en den Berg an Plastikmöb­eln und danach die Müllberge. Erst werden Medikament­e erfunden und dann zur Optimierun­g solche gegen die Nebenwirku­ng.

Wir wollen uns also möglichst so selbst optimieren, dass wir irgendwann glücklich sind. Das ist das Ziel: ein glückliche­s Leben. Doch die extrem Reichen sind nicht glückliche­r, die Operierten finden sofort die nächste Schwachste­lle.

Das Gegenmodel­l: Hunderte Filme und Bücher und sogar die rührselige­n Spruchkärt­lein auf Facebook haben einen Inhalt: Es ist schön, so geliebt zu werden, wie man ist. Natürlich hat auch hier die Selbstopti­mierung eine kapitalist­ische Nische gefunden. Die Bücher tragen Titel wie heißen „Das Kind in Dir muss eine Heimat finden: Der Schlüssel zur Lösung fast aller Probleme“oder „ Gib dir die Liebe, die du verdienst“. Sicher ist demnächst der eine oder andere gut bezahlte „Speaker“auch zu diesem Thema in Ihrer Nähe.

Achja, wie sagte der Gelehrte Blaise Pascal schon im 17. Jahrhunder­t: „Das ganze Unglück der Menschen rührt allein daher, dass sie nicht ruhig in einem Zimmer zu bleiben vermögen.“

Das Unvollkomm­ene ist reizvoll und inspiriere­nd wie ein Silberblic­k. Und wirklich: Wir Menschen müssen uns nicht dauernd bestrafen.

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