Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Zoll prüft Vorgänge auf Häfler Streik-Baustelle
Warum lange Subunternehmerketten aus Sicht von Zoll und IG Bau ein Problem sind
FRIEDRICHSHAFEN - Auch wenn die extreme Form des Protests nicht vorhersehbar war – aus heiterem Himmel kam der aufsehenerregende Bauarbeiterstreik samt Kranbesetzung an der Regenerstraße in Friedrichshafen am Dienstag nicht. Schon am vergangenen Freitag waren Kontrolleure des Hauptzollamts Ulm vor Ort. Und zwar nicht zufällig. „Es gab Hinweise auf Unruhe auf der Baustelle“, sagt Hagen Kohlmann, Pressesprecher des Hauptzollamts Ulm. Es geht um mögliche Mindestlohnverstöße
und andere Dinge, die im Geflecht unzähliger Subunternehmer auf größeren Baustellen offenbar weit verbreitet sind.
Anlass für die „Unruhe auf der Baustelle“, die am Dienstag darin gipfelte, dass Arbeiter Baukräne besetzten und damit drohten, von diesen herunterzuspringen, sollen ausgebliebene Lohnzahlungen an Mitarbeiter eines italienischen Subunternehmers sein. Dass Firmen aufgrund von Zahlungsschwierigkeiten vorübergehend keine Löhne bezahlen, kommt zwar öfter vor, Fälle für den Zoll werden daraus aber nicht automatisch. Relevant für den Zoll ist nicht das, was im Geldbeutel des Arbeiters fehlt. Das ist zivilrechtlich zu regeln. Dem Zoll geht es vielmehr um möglicherweise nicht abgeführte Sozialversicherungsbeiträge – was einen Straftatbestand erfüllen würde – und um mögliche Mindestlohnverstöße, die als Ordnungswidrigkeiten gelten. Im Fall der Baustelle an der Regenerstraße spricht Hagen Kohlmann von einer „Gemeingelage aus verschiedenen möglichen Tatbeständen“– ohne das weiter zu konkretisieren, weil die Prüfung der Sachlage noch andauert. In die Zuständigkeit des Zolls fällt auch das Thema illegale Beschäftigung.
Kontrollen auf Baustellen sind Alltagsgeschäft für den Zoll. Ein Kernproblem ist laut Kohlmann die Vielzahl an Subunternehmen, die mittlerweile auf praktisch jeder größeren Baustelle tätig sind. „Das ist zwar völlig legal, aber auch Subunternehmer aus dem Ausland müssen ausländischen Mitarbeitern auf Baustellen in Deutschland den gesetzlichen Mindestlohn zahlen“, erklärt der Sprecher des Hauptzollamts Ulm. Dass sie es offenbar häufig nicht tun, sei mitunter schwierig nachzuweisen. „Häufig ist es so, dass kein Mindestlohn gezahlt wird, weil sich beide Seiten darauf geeinigt haben“, sagt Kohlmann. Weil die Arbeiter oft aus Ländern kämen, in denen das Lohnniveau deutlich niedriger sei als in Deutschland.
Der aktuelle Fall in Friedrichshafen ist für den Zoll vor allem deshalb ein besonderer, weil es hier nicht an Zeugen mangelt. Im Gegenteil: Die Mitarbeiter des italienischen Subunternehmers sind offenbar bereit, detaillierte Auskünfte zu geben. Weshalb Hagen Kohlmann auch davon ausgeht, dass sich im laufenden Prüfverfahren genügend Anhaltspunkte ergeben, um ein Ermittlungsverfahren einzuleiten. In dessen Verlauf wird dann auch zu klären sein, an welcher Stelle der Kette aus Subunternehmen kein Geld mehr geflossen ist und wer dafür verantwortlich war.
Die Probleme, die Kohlmann schildert, bestätigt auch Ruprecht Hammerschmidt, Pressesprecher der IG Bau Baden-Württemberg. „Wir stellen oft fest, dass der Mindestlohn nicht bezahlt wird“, sagt er. Kern des Problems aus seiner Sicht: „Wir haben Subunternehmerketten bis in die Unendlichkeit.“
Auf der Baustelle an der Regenerstraße liefen die Rohbauarbeiten am Tag nach der Protestaktion ganz normal weiter – ohne Mitarbeiter des italienischen Subunternehmers.